Die Frau an Seiner Seite
Charaktereigenschaften er ihrem Mann abgesprochen und mit wie viel Häme er den Pfälzer immer wieder überzogen hatte. Durch solche persönlichen Verunglimpfungen ihres Mannes fühlte sie sich gleichsam mit in Sippenhaft genommen. Den Trauerfeierlichkeiten mit dem Requiem, das Kardinal Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI., zelebrierte, und dem Staatsakt im Münchner Herkulessaal wäre Hannelore am liebsten ferngeblieben. Diesem Menschen die letzte Ehre zu erweisen, empfand sie im Grunde ihres Herzens als kaum zu ertragende Zumutung. Doch auch diesmal gestattete sie sich nicht, sich von Gefühlen leiten zu lassen. In einem unserer Gespräche gestand sie, für einen Augenblick ernsthaft überlegt zu haben, einen grippalen Infekt vorzuschieben, um dieser Veranstaltung fernbleiben zu können. Am Ende siegten ihre preußische Pflichtauffassung und die Zwänge des Protokolls. An der Seite ihres Mannes mischte sie sich unter die trauernde Prominenz und lauschte den zum Teil fast heuchlerischen Nachrufen, auch seitens ihres Mannes. Hannelore kannte seine Einstellung zu Franz Josef Strauß und erlebte nun, wie Helmut seinen »übergeordneten Pflichten« als Kanzler der Bundesrepublik und Vorsitzender der CDU Deutschland nachkam und Sätze vortrug, die wohl kaum seiner wahren Haltung und inneren Überzeugung entsprachen. Natürlich wusste sie, dass er kaum anders handeln konnte, aber die Scheinheiligkeit der politischen Kaste, die im Nachgang der Trauerfeierlichkeiten für den mächtigen Bayer durchschien, förderte einmal mehr ihre Vorbehalte und ihr Misstrauen gegenüber Politikern.
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Um die lange Eiszeit zwischen Bonn und Moskau zu beenden, reisten der Bundeskanzler und seine Gattin mit großer Delegation Ende Oktober 1988 in die sowjetische Hauptstadt. In einem Interview hatte Kohl den sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow zwei Jahre zuvor mit dem NS-Propagandaminister Josef Goebbels verglichen. Beide seien »Experten für Public Relations«. Der Kreml hatte umgehend reagiert und den Besuch einer Delegation um Forschungsminister Riesenhuber abgesagt. Seitdem war das Verhältnis angespannt gewesen und noch im Frühjahr 1988 hatte es ernsthafte Unstimmigkeiten gegeben, weil sich die Terminkoordination als äußerst schwierig erwies.
Der Besuch in Moskau läutete eine neue Phase zwischen den Staatslenkern Kohl und Gorbatschow ein, die entscheidend zur späteren Wiedervereinigung beitrug. Hannelore hingegen blieb sehr reserviert. Daran änderte auch ein gemeinsamer Konzertbesuch der beiden Ehepaare nichts. Hannelore absolvierte das übliche Damenprogramm und lauschte ein wenig gelangweilt den oft langatmigen Ansprachen beim abendlichen Diner im Kreml. Für sie war der Besuch des Kanzlerehepaares beim sowjetischen Kernphysiker, Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow und dessen Frau Jelena Bonner weit interessanter. Das Gespräch mit den beiden mutigen Dissidenten, die Hungerstreik und Verbannung hatten erleben müssen und vom sowjetischen Geheimdienst systematisch gequält und gefoltert worden waren, gehörte zu den Höhepunkten des Moskau-Aufenthalts. Hannelore schien sich zwar auch mit Raissa Gorbatschowa ganz gut zu verstehen, innerlich ging sie aber auf deutliche Distanz, ohne es sich anmerken zu lassen. Seit ihrer traumatischen Erfahrung 1945 sah sie sich nicht in der Lage, den Menschen des großen sowjetischen Imperiums wirklich näherzukommen. Mit jedem Kontakt zur Sowjetunion, ihren Menschen, ihrer Sprache, ihrer Politik und Kultur wurde sie an die brutale Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten erinnert. Eine leichte Besserung stellte sich erst ein, als die sowjetischen Besatzungstruppen 1994 das geeinte Deutschland verließen. Bis zu diesem Zeitpunkt kam Hannelore mit aufgesetztem Lächeln ihrem Auftrag als Kanzlergattin nach, auch in dem Bewusstsein, wie bedeutsam die deutsch-sowjetischen Beziehungen für die Wiedervereinigung gewesen waren. Während Helmut Kohl alles daran setzte, mit den russischen Machthabern verlässliche Beziehungen zu begründen und Abmachungen zu treffen, ging Hannelore – von Außenstehenden niemals zu spüren – auf Distanz. Darüber verlor sie bis zu einem Gespräch mit mir kurz vor ihrem Tod kein Wort.
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Im Jahr 1989 standen nicht nur eine ganze Reihe von Jubiläen an, sondern auch die wichtigen Besuche der beiden mächtigsten Männer der Welt. Der neue amerikanische Präsident George Bush hatte sein Kommen ebenso angekündigt, wie
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