Die Frau an Seiner Seite
erlebten die Kohls bei der einzigen Privatreise, die sie während Helmuts Kanzlerschaft absolvierten. In den Jahren zwischen 1974 und 1976 war die Familie zusammen mit wenigen engen Mitarbeitern zu Kurzbesuchen in die DDR gereist. Der jüngste Kohl-Sohn Peter hatte zudem mit einer Jugendgruppe 1984 eine Woche lang die DDR besucht. Er gehörte ebenso zum Tross des Bundeskanzlers und seiner Ehefrau Hannelore wie die Regierungssprecher Friedhelm Ost und Ministerialdirektor Wolfgang Bergsdorf, als diese Ende Mai 1988 zu einer neuen Privatreise hinter den Eisernen Vorhang aufbrachen. Besichtigt wurden die Städte Eisenach, Erfurt, Gotha und Weimar mit einer Übernachtung im berühmten Hotel »Elefant«. Weiter standen Leipzig und Dresden auf dem Programm.
Für den Kanzler war ein Höhepunkt der Reise der Besuch des Oberligafußballspiels »Dynamo Dresden« gegen »Carl Zeiss Jena« in der Elbmetropole, auf das Hannelore gerne verzichtete. Als kulturelles Highlight hatte sie sich eine Vorstellung in der Semperoper gewünscht. Auf dem Programm stand Richard Wagners Oper Der Tannhäuser . Als besonderer Fan klassischer Musik in der Familie genoss sie die wunderbare Vorstellung mit einer herausragenden Inszenierung. Bei der Ouvertüre und dem Pilgerchor summte sie sogar leise mit. In ihrem blauen Abendkleid war sie zweifellos für jedermann eine Augenweide, eine auffallende Schönheit. Später berichtete sie mit großem Enthusiasmus von diesem Kunstgenuss und erzählte vom spürbaren Raunen im Opernhaus, als die Kohl-Familie und ihre Begleitung auf dem großen Balkon Platz nahm. Ein rundum gelungener Abend, der von der Situation im Land hätte ablenken können – wären nicht der Kohl-Delegation beim Verlassen des Musentempels klammheimlich manche Zettel zugesteckt worden. Diese kurzen Notizen waren zum Teil dramatische Appelle, Kohl möge etwas unternehmen, Bürgern bei der Ausreise helfen oder etwas gegen die fortwährende Unterdrückung im Oststaat tun.
Diese erste und einzige Privatreise eines deutschen Bundeskanzlers in der Geschichte der beiden deutschen Staaten beschloss ein Gottesdienstbesuch in der katholischen Kathedrale von Dresden. Die Gläubigen verharrten solange in ihren Bänken, bis das Ehepaar Kohl die Kirche durch den Mittelgang verlassen hatte. Vor dem Bischofssitz spielten sich bemerkenswerte Szenen ab. Trotz der nicht erkennbaren, aber anwesenden Stasi-Aufpasser wurden Hannelore und Helmut immer wieder von Bürgern fotografiert, und mehrere hundert Menschen spendeten Beifall. Für das Kanzlerpaar war dieser DDR-Aufenthalt nach eigenen Worten eine der bewegendsten Reisen in ihrem Leben. Vielleicht gerade weil ihnen klar war, dass sie – in vornehmer Distanz – auf Schritt und Tritt von offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit begleitet wurden. Die Überwachung machte auf unangenehm bedrückende Weise greifbar, was man ohnehin wusste. Dass Helmut Kohl in all seinen politischen Führungspositionen und besonders als Bundeskanzler, aber selbst seine Familie, unter Telefonkontrolle der DDR-Auslandsspionage stand, davon konnte sich der Pfälzer nach Öffnung der Stasi-Akten persönlich überzeugen. In weiser Voraussicht führte er bis 1989 ganz wichtige Telefonate grundsätzlich aus einer der berühmten gelben Telefonzellen der Deutschen Bundespost. Seine Annahme, sich damit der Telefonkontrolle des DDR-Geheimdienstes entziehen zu können, erwies sich allerdings als trügerisch. Auch diese Gespräche wurden über den Empfänger des Telefonats in der Regel abgehört und mitgeschnitten. Diese im Stasi-Jargon »Zielkontrollaufträge« genannten Mitschnitte betrafen auch die Telefonate von Helmut Kohl mit seiner Ehefrau. Die Privatanschlüsse in Ludwigshafen und in Bonn waren der DDR-Auslandsspionage ebenso vertraut wie die dienstlichen Telefonnummern des CDU-Bundesvorsitzenden, des CDU/CSU-Oppositionsführers und Bundeskanzlers, die in Ost-Berlin gespeichert waren und rund um die Uhr angezapft wurden.
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Hannelore und Helmut Kohl befanden sich gerade auf einer Indonesien-Reise, als sie am 3. Oktober 1988 über den Tod des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß informiert wurden. Gefühle der Trauer hielten sich in Grenzen. Hannelore mochte den bayerischen Trouble-Maker nicht. Was hatte er ihrem Mann nicht alles angetan! Niemals konnte sie vergessen, wie verletzend seine öffentlichen Äußerungen über Helmut Kohl all die Jahre gewesen waren, welche
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