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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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Abschlussveranstaltung in Leipzig am 14. März 1990 auf dem Augustusplatz schüttelte auch Hannelore unzählige Hände und musste sich durch die Menschenmassen kämpfen. Für sie war das ein besonders denkwürdiger Tag. Sie war zurück in der Stadt ihrer Kindheit. Über diesen Platz war sie unzählige Male gelaufen, wenn sie mit ihren Eltern in die Oper ging. Erinnerungen wurden wach an die wunderbaren Jahre des Verwöhntwerdens und des Überflusses. Aber auch an die Bombennächte, an die brennenden Häuser, an das Leben im Bunker und an die Angst, sterben zu müssen.
    Jetzt stand sie wieder auf dem größten Platz der Stadt, diesmal als Frau des deutschen Bundeskanzlers. Wann immer ihr Mann bei seiner Rede das Wort Deutschland in den Mund nahm, jubelten und klatschten die Massen. Für Hannelore, die die Schmähungen während seines Auftritts in Berlin-Schöneberg noch in bester Erinnerung hatte, ein versöhnliches und unvergessliches Erlebnis. Als dann aus den Kehlen Zehntausender die Nationalhymne erklang und die Abenddämmerung den Platz in eine besondere Stimmung tauchte, lief es Hannelore eiskalt über den Rücken. Als sie in die ergriffenen Gesichter der Menschen vor ihr blickte, gab es auch für sie kein Halten mehr. Sie war zutiefst gerührt und weinte vor Freude.
    * * *
    Der Wahlabend am 18. März 1990 – eine Woche nach Hannelores 57. Geburtstag – brachte eine kleine Sensation. Die CDU mit ihrer »Allianz für Deutschland« errang auf Anhieb eine Mehrheit von 47,7 Prozent der Stimmen. Hannelore, die den Wahlausgang mit ihrem Mann in Ludwigshafen vor dem Fernsehgerät verfolgte, war völlig aus dem Häuschen. Die Mehrheit der Wähler in der DDR hatte ein klares Signal für die Wiedervereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetzes gegeben. Darauf war der Kanzler, der seine Politik damit bestätigt sah, mit Recht stolz. Zu Hause in Oggersheim genehmigte sich seine Frau erst einmal ein großes Glas Wein, um auf den Erfolg anzustoßen.
    Mit großem Interesse verfolgte sie das weitere aufregende politische Geschehen: die Vereidigung der ersten frei gewählten Regierung in der Geschichte der DDR, die Unterzeichnung des deutsch-deutschen Staatsvertrages, das Inkrafttreten der Währungsunion und die Unterzeichnung des Einigungsvertrages und schließlich den Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages, der die außenpolitische Absicherung der Wiedervereinigung zum Ziel hatte. Dann der Höhepunkt des Jahres: Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990.
    Es gibt kein deutsches Geschichtsbuch ohne das weltbekannte Foto vom Balkon des Berliner Reichstags während der Feier zur Wiedervereinigung. Im Mittelpunkt eine überaus glücklich lächelnde Hannelore Kohl neben ihrem Mann, Hans-Dietrich Genscher und Willy Brandt auf der einen und Richard von Weizsäcker, Gerhard Stoltenberg und Lothar de Maizière auf der anderen Seite. Dieses Foto entstand kurz vor Mitternacht, als 14 Mädchen und Jungen mit einem riesigen Fahnentuch die Treppen des Reichstags herunterschritten. Am Schöneberger Rathaus ertönte die Freiheitsglocke, dann wurde die schwarz-rot-goldene Fahne gehisst. Der Jubel der Menschen war unbeschreiblich. Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte in einer kurzen Ansprache: »In freier Selbstbestimmung wollen wir die Einheit Deutschlands vollenden. Für unsere Aufgabe sind wir uns der Verantwortung vor Gott und den Menschen bewusst. Wir wollen in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen.«
    Als Hunderttausende in die deutsche Nationalhymne einstimmten, sang Hannelore das Lied der Deutschen aus voller Kehle mit. Sie erzählte mir später, in diesem Augenblick seien die letzten Jahre wie im Zeitraffer vor ihrem geistigen Auge abgelaufen. Ihr Leben als Frau des Ministerpräsidenten, des Bonner Oppositionsführers, des CDU-Bundesvorsitzenden mit allen Höhen und Tiefen, Intrigen, gewonnenen und verlorenen Wahlen. Die Bilder vom erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Schmidt 1982, von der riskanten Parlamentsauflösung bis zu den Neuwahlen 1983, Momentaufnahmen vom Bremer Putsch-Parteitag, von der Maueröffnung und der friedlichen Revolution, von all den mutigen Menschen, die monatelang für ihre Freiheit demonstriert hatten.
    Im Rausch der Einheitsfeiern wurde für sie die Lebensleistung ihres Mannes überdeutlich. Für alle Welt sichtbar, umarmte Hannelore mit großer Herzlichkeit ihren Mann. Schlänglein – wie Helmut seine Frau liebevoll nannte – drückte ihn fest an sich.

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