Die Frau an Seiner Seite
sie kein Penicillin vertrug. Fortan litt sie nicht nur unter der Empfindlichkeit gegen Licht, sondern auch an Atemnot.
Seit Ausbruch ihrer schweren Krankheit – über die noch eingehend zu berichten sein wird –, nahm Hannelore erstmals wieder an einem Empfang in Bonn teil. Diesmal galt er dem neuen Präsidenten der Russischen Föderation Boris Jelzin und dessen Frau Naina, die zum Staatsbesuch in der Bundesrepublik weilten. Hannelore ging es miserabel, sie litt unter Atemnot, konnte kaum sprechen und war so geschwächt, dass sie ein Krankenhaus in Bonn aufsuchen musste. Am nächsten Tag hatte sie sich immerhin so weit erholt, dass sie am weiteren Besuchsprogramm teilnehmen konnte: Mittagessen im pfälzischen »Deidesheimer Hof«, Besichtigung des Doms zu Speyer mit anschließendem Orgelkonzert. Am Nachmittag gab es im Privathaus in Ludwigshafen Kaffee und Kuchen für das Ehepaar aus Moskau. Im Gegensatz zu Raissa Gorbatschowa mochte Hannelore die promovierte Mathematikerin Naina Jelzina. Doch mit dem robusten und oftmals derben Kremlchef wurde Hannelore nicht warm. Russische Männer jedweden Alters waren ihr verständlicherweise schon aus Prinzip suspekt. Daran änderte sich auch diesmal nichts.
Zwei Monate später kam der amerikanische Präsident Bill Clinton zu einem offiziellen Staatsbesuch in die Bundesrepublik. Nach dem Bonner Begrüßungszeremoniell, den festlichen Veranstaltungen auf dem Petersberg, an denen auch Hannelore teilnahm, begleiteten die Kohls das Präsidentenpaar zusammen nach Berlin. Gemeinsam schritten sie in gehobener Stimmung durch das Brandenburger Tor. Bei wunderbarem Sommerwetter entstanden prächtige Fernsehbilder vom amerikanischen Staatsoberhaupt, dem Einheitskanzler und den beiden Ehefrauen. Der Staatsbesuch endete mit einem Essen im Ludwigshafener Bungalow. Hannelore respektierte zwar die zwölf Jahre jüngere Hillary, fand allerdings deren Einmischung in das politische Tagesgeschäft unangemessen. Die Amerikanerin verfügte über kein politisches Mandat und entwickelte dennoch großen Ehrgeiz, sich politisch zu exponieren. Hannelore empfand Hillarys Art als arrogant, das in ihren Augen übersteigert zur Schau gestellte Selbstbewusstsein war ihr fremd und stieß sie ab. Hannelores immerwährendes Lächeln bei den gemeinsamen Auftritten verriet indes nichts über ihre wahre Seelenlage. Sie beherrschte ihre Rolle formvollendet.
Hannelores körperliche Verfassung war damals alles andere als gut. Sie fühlte sich geschwächt und nicht wirklich in der Lage, in der Öffentlichkeit an der Seite ihres Mannes aufzutreten. Doch die Teilnahme an einem Termin wollte sie sich keinesfalls nehmen lassen – die offiziellen Feierlichkeiten zur Verabschiedung der Westgruppe der russischen Streitkräfte in Berlin am 31. August 1994. Wieder stattete der Präsident der Russischen Föderation gemeinsam mit seiner Frau der Bundesrepublik einen Besuch ab. Militärisches Zeremoniell, Festakt im Berliner Schauspielhaus mit großen Reden, Danksagungen und Freundschaftsbekundungen – politische Rituale, die auf die Kanzlergattin wenig Eindruck machten. Was für sie zählte, war etwas anderes. Dass es ihrem Mann nach jahrelangen schwierigsten Verhandlungen gelungen war, den Abzug der in der DDR so verhassten letzten sowjetischen Truppen zu erwirken, wertete sie als eine der größten politischen Leistungen ihres Mannes. Für Hannelore selbst war der endgültige Abzug der sowjetischen Soldaten eines der wichtigsten Ereignisse im Nachkriegsdeutschland. Der 31. August 1994 markierte für sie das eigentliche Ende des Kalten Krieges und der deutschen Teilung. Dieses Datum blieb ihr ins Gedächtnis eingemeißelt und schien ihr sogar wichtiger als der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls. In seinen Memoiren mag Helmut Kohl noch so pathetisch über Hannelores Mitgefühl für die materiellen und menschlichen Probleme der heimkehrenden Soldaten schreiben. In Wahrheit erinnerte sie jeder russische Soldat in Deutschland an die traumatischen Erfahrungen während der Flucht 1945. ihre massive Abneigung trug sie wie eine Monstranz vor sich her bis zu ihrem Tod.
* * *
Das »Superwahljahr« 1994 konfrontierte Hannelore mit all den Dingen, die sie so gerne aus ihrem Leben verbannt hätte. Die Wahlkämpfe, die Unterstellungen der politischen Gegner, ihre Anklagen, die Besserwisserei, das angebliche Besserkönnen, den Kampf um Macht und Einfluss. Die Europawahl, acht Landtags- und neun Kommunalwahlen standen auf dem
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