Die Frau an Seiner Seite
Die Kanzlergattin war sich auch in diesem Moment der Bedeutung ihrer Rolle an seiner Seite voll bewusst. Ohne ihre aufopfernde Bereitschaft, ihr Leben hinter seine politischen Ambitionen zu stellen, hätte Helmut Kohl nicht alle Hürden genommen und sich so lange im Amt des Bundeskanzlers gehalten. Darauf hat Kohl in den drei umfangreichen Bänden seiner Memoiren immer wieder hingewiesen und seine Bewunderung für die Leistungen seiner Frau ausgedrückt.
Irgendwann ging der offizielle Teil dieser Nacht der Nächte zu Ende. Bis zum frühen Morgen wurde im Reichstag im kleinen Kreis mit den wichtigsten Mitarbeitern weitergefeiert. Nie zuvor hatten die Kohl-Getreuen eine so glückliche Kanzlergattin erlebt, die in ihrer Feierlaune kaum zu stoppen war.
Grund zum Feiern gab es acht Wochen später schon wieder. Die Bürger im wiedervereinten Deutschland waren am 2. Dezember 1990 zum ersten Mal seit 58 Jahren aufgerufen, ein gemeinsames Parlament zu wählen. Die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP errang einen überwältigenden Sieg. Helmut Kohls Herausforderer Oskar Lafontaine und seine SPD verloren dramatisch. CDU/CSU erzielten zusammen 43,8 Prozent der Stimmen, die FDP kam auf 11 Prozent und die SPD schaffte es auf 33,5 Prozent. Erstaunlich war das Abschneiden der SED-Nachfolgepartei PDS, die mit 17 Parlamentariern in den Bundestag einzog. Hannelore empfand das Wahlergebnis der Regierungskoalition als einen großen Vertrauensvorschuss – auch für ihren Mann. Die Wähler hatten Helmut Kohl und seiner Regierungsmannschaft die politische Verantwortung für die nächsten vier Jahre übertragen und verbanden damit große Erwartungen, die kaum zu erfüllen waren. Hannelore hegte im tiefsten Inneren die persönliche Hoffnung, dass dies die letzte Legislaturperiode ihres Mannes als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein würde. Die vergangenen Jahre hatten viel Kraft gekostet, das, was nun vor ihm lag, war eine gewaltige Aufgabe. Die Wunden der Teilung mussten geschlossen, die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West musste in Angriff genommen werden. Ein riesiges Arbeitsprogramm war zu bewältigen und die Regierung Kohl/Genscher zum Erfolg verdammt. Hannelore träumte insgeheim von einem Leben ohne Wahlkampfstress, ohne aufreibende Staatsbesuche im In- und Ausland und ohne den ewigen Kampf um CDU-Mehrheiten in Bund, Ländern und Gemeinden. Sie ahnte, dass die Anforderungen der kommenden Jahre vieles in den Schatten stellen würden. Die Erwartungen der Menschen, die auch Helmut Kohl befeuert hatte, waren riesengroß, die Opposition und parteiinterne Widersacher lauerten nur auf ihre Chance. Hannelore war diese kräftezehrenden Ränkespiele leid, die falschen Parteifreunde und die vermeintlich zu kurz gekommenen Mitstreiter, die sich für besser, kompetenter, durchsetzungsfähiger und intelligenter hielten, als den amtierenden Kanzler.
In seiner Neujahrsansprache, die Hannelore wie immer redigiert und abgetippt hatte, erinnerte der Kanzler der Einheit an die historische Leistung, die das deutsche Volk mit der Wiedervereinigung vollbracht hatte und bezeichnete das Jahr 1990 als eines der glücklichsten in der deutschen Geschichte. Nachdem die Sendeanstalten von ARD und ZDF, anders als beim Jahreswechsel 1985/86 die richtige Ansprache ausgestrahlt hatten, konnten die privaten Feierlichkeiten im Hause Kohl beginnen. Wie in all den Jahren weilten die beiden Theologen und Brüder Ramstetter im trauten Familienkreis. Hilde Seeber sorgte für einen rustikalen Silvesterschmaus. Noch nie war die Stimmung so gut gewesen, noch nie hatten alle Zeichen so sehr auf Glück gestanden, wie in jener Silvesternacht des Jahres 1990/91.
Kapitel 8
HÖHEN UND TIEFEN
Zu Beginn der neuen Legislaturperiode wurde das übliche Ritual der Koalitionsverhandlungen über ein zukunftsorientiertes Regierungsprogramm abgespult. Kanzlerwahl und Kabinettsvereidigung – das beobachtete und begleitete die Kanzlergattin zum dritten Mal mit abnehmendem Interesse. Staatsbesuche im Ausland, Staatsgäste in der Bundesrepublik, für Hannelore war das Meiste inzwischen Routine. Sie kannte die amtierenden Staats- und Regierungschefs, freute sich auf manche Besuche, sah anderen kritisch entgegen. Kohls Hang zur Schwarz-Weiß-Malerei, seine Liebe zu den sogenannten Kohlianern und seine Abneigung gegenüber den Kohl-Gegnern innerhalb und außerhalb des CDU/CSU-Milieus teilte Hannelore in gleicher Weise. Gelegentliche Abweichungen führten zu
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