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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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mit Sicherheit, ob Martin Garvie bei ihm war oder nicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, warum von ihm kein Brief gekommen sein soll.«
    »Vielleicht könnten wir den alten Mr Garrick nach der Adresse fragen?«, schlug Gracie vor. »Dagegen kann er nix haben. Die Eltern wissen doch bestimmt, wohin die ihrem Sohn schreiben können.«
    Tellman verzog den Mund. »Sicher«, sagte er, »aber erinnern Sie sich, dass dabei schon einmal nichts herausgekommen ist — erst hat Tilda es versucht, und dann Sie; beide Male ohne Ergebnis. Ich werde sehen, was ich feststellen kann.«
    Sie sah ihn aufmerksam an. Sie kannte jeden Ausdruck seines Gesichts, hätte es mit geschlossenen Augen beschreiben können. Ihr war klar, dass er sich Sorgen machte, und auch, dass er das vor ihr nicht zeigen wollte — teils, um sie nicht zu beunruhigen, teils, weil er seiner Sache nicht sicher war.
    »Sie denken, dass da was faul is, was?«, fragte sie leise. »Kein Mensch erzählt ohne Grund Lügengeschichten.«
    Vorsichtig sagte er: »Ich weiß es nicht. Können Sie sich übermorgen Abend freinehmen?«
    »Wenn es sein muss. Warum?«
    »Ich sage Ihnen dann, was ich herausbekommen habe. Es kann aber eine Weile dauern, bis ich etwas weiß. Ich muss Zeugen finden, mich bei der Bahn- und Fährgesellschaft erkundigen und so weiter.«
    »Natürlich. Mrs Pitt würde nie Nein sag’n, wenn’s um ’ne Nachforschung geht. Ich komm. Sag’n Se mir einfach, wann.«
    »Ginge es ziemlich früh am Abend? Wir könnten ins Varietee gehen, uns etwas Nettes ansehen.« An seinem fragenden Blick erkannte sie, dass er hoffte, sie würde annehmen, und zugleich nicht sicher war, ob es ihr recht wäre. Immerhin war das eine private Verabredung, die nichts mit dem Fall zu tun hatte. Es handelte sich um seine erste Einladung dieser Art, und das war beiden durchaus bewusst.
    Sie wollte ganz beiläufig reagieren, so tun, als sei das nichts Ungewöhnliches, doch es gelang ihr nicht. Sie merkte, dass sie errötete; ihre Wangen brannten heiß.
    »Ja ...«, sagte sie unbehaglich und mit leicht heiserer Stimme. Bald würde sie eine schwerwiegende Entscheidung treffen müssen, für die sie noch nicht bereit war, obwohl sie schon seit längerem wusste, was sie empfand, und viel Zeit gehabt hatte, es sich zu überlegen. »Ja, ich hör gern Musik.« Was sollte sie anziehen? Es musste etwas Besonderes sein. Sie wollte ihm gefallen, fürchtete es aber zugleich. Wenn ihn nun seine Gefühle übermannten und sie nicht wusste, was sie tun sollte? Vielleicht hätte sie doch Nein sagen und die Sache auf seiner beruflichen Ebene belassen sollen.
    »Gut.« Jetzt war es zu spät, es sich anders zu überlegen. Hatte er die Unentschlossenheit auf ihrem Gesicht erkannt?
    »Nun ...«, setzte sie an.
    »Ich schlage sieben Uhr vor«, sagte er ein wenig zu rasch. »Erst essen wir etwas. Dabei sage ich Ihnen, was ich herausbekommen habe, dann können wir ins Varietee gehen.« Er stand auf, als fühle auch er sich befangen und wolle sich davonmachen, bevor er etwas tat, wobei er sich noch törichter vorkam.
    Auch sie stand auf. Dabei stieß sie ungeschickt gegen den Tisch. Zum Glück stand nichts darauf, was umfallen und auslaufen konnte. Nur die Gläser klirrten ein wenig.
    Am Ausgang ließ er ihr den Vortritt. Draußen auf der Straße war es schwieriger, offen miteinander zu sprechen. Schwerfällig wurde ein Fuhrwerk voller Bierfässer rückwärts um die Ecke in den Hof rangiert. Der Kutscher hielt das Leitpferd am Zaum und rief seine Befehle. Ein Stück weiter zog ein Mann ein halbes Dutzend kleiner Fässer auf einem Handwagen, der laut über die Pflastersteine polterte. Auf der Straße ertönte Hufschlag und klirrte Pferdegeschirr.
    Gracie war froh über den Lärm und die Ablenkung. Bei einem raschen Blick auf Tellmans Gesicht glaubte sie zu sehen, dass es ihm ebenso ging. Ob er kalte Füße bekommen hatte und nun ewig nichts mehr sagen würde? Damit hätte sie Zeit zum Nachdenken gewonnen. Worüber? Es war klar, dass sie Ja sagen würde; sie musste sich nur noch überlegen, auf welche Weise. Veränderungen machten ihr Angst. Seit sie dreizehn war, lebte sie in Pitts Haus. Sie konnte die Familie unmöglich verlassen!
    Tellman sagte über den Lärm hinweg etwas zu ihr.
    »Ja«, bestätigte sie nickend. »Übermorgen um sieben hier. Sie stellen fest, was mit Martin Garvie is. Wiederseh’n.« Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sie sich mit einem frohen Lächeln auf dem Absatz

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