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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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schließlich bereit war, offen zu sprechen. Allerdings hatte es eine Weile gedauert, bis Pitt sein Vertrauen so weit gewonnen hatte. Er hatte dazu Erinnerungen an das Londoner East End heraufbeschwören müssen, wo der Mann aufgewachsen war, die er mit leicht sentimental angehauchten Beschreibungen der Hafenanlagen und der Themse auf ihrem Weg nach Greenwich angereichert hatte. Am Ende aber gab ihm der Mann die Auskünfte, die er brauchte. Im pfirsichfarbenen Schimmer der allmählich sinkenden Sonne schritten sie gemächlich an einem der vielen Arme des Deltas entlang, das die Mündung eines der größten Flüsse Afrikas bildete.
    »Ich konnte den Burschen nich verknusen«, sagte der Mann mit unverhohlener Abneigung, während sein Blick einem Schwarm Vögel folgte, die sich schwarz vor dem Himmel abzeichneten. »Aber’n schlechter Soldat war er nich.«
    »Aus welchem Grund konnten Sie ihn nicht leiden?«, wollte Pitt wissen.
    »Weil er ’n selbstgerechter Scheißkerl war. Ich geh immer danach, wie sich einer benimmt, wenn ’s knüppeldick kommt oder wenn er einen sitzen hat. Da sieht man gleich, ob er was taugt oder nich.« Mit einem Seitenblick zu Pitt hin vergewisserte er sich, ob ihn dieser verstand. Er schien mit dem Ergebnis seiner Beobachtung zufrieden zu sein. »Kann nix mit ’nem Mann anfangen, der sein’ christlichen Glauben vor sich herträgt. Versteh’n Se mich nich falsch – ich hab nix für diesen Mohammed und auch nix für das übrig, was er sagt; und wie die Leute hier ihre Frauen behandeln, is einfach widerlich. Aber wir sind manchmal auch nich besser. Ich sag immer: leben und leben lassen.«
    »Hat denn Lovat die islamische Religion nicht geachtet?«, hakte Pitt nach. Er war nicht sicher, ob das von Bedeutung war, denn selbst wenn es sich so verhielt, dürfte man ihn kaum deswegen nach so vielen Jahren im fernen London getötet haben.
    »Schlimmer«, sagte der Mann und verzog das Gesicht, dessen Haut im schwindenden Tageslicht so dunkel wirkte wie die Bronze einer Statue. »Er hat denen nix gegönnt, wenn es was war, wovon er meinte, dass es den Christen gehören müsste. Er is nie drüber weggekommen, dass die Jerusalem eingenommen ha’m. ›Heilige Stadt‹, hat er immer gesagt — und auch all die anderen Orte da.«
    »Trotzdem hat er sich in eine Ägypterin verliebt«, erinnerte ihn Pitt.
    »Schon. Weiß ich selber. Er war verrückt nach ihr, und ’ne Zeit lang konnte man mit ihm kein vernünftiges Wort reden. Aber das war ’ne koptische Christin, und damit war die Sache für ihn in Ordnung.« Angewidert verzog er das Gesicht. »Geheiratet hätt er se aber trotzdem nich. Die Sache mit ihr war so was, was man macht, wenn man jung und im Ausland is. Seine Leute hätt’n Kopf gestand’n, wenn er zu Hause mit ’ner Ausländerin angetanzt war’!«
    »Haben Sie sie gekannt?«, fragte Pitt.
    »›Kennen‹ is nich der richtige Ausdruck, aber geseh’n hab ich sie natürlich. Sie war schön«, sagte er mit sehnsüchtig klingender
Stimme. »Bewegt hat se sich wie ’n Vogel in der Luft.« Er wies auf einen weiteren Schwarm von Wasservögeln, die vor der sinkenden Sonne dahinschwebten.
    »Haben Sie Lovats Kameraden Garrick und Yeats gekannt?«, fuhr Pitt fort.
    »Na klar, und auch Sandeman. Sind alle nach Hause gefahren. Sind einer wie der andere zur selben Zeit krank geworden —hatten wohl alle dasselbe Fieber.«
    »Und hat man sie alle entlassen?«
    Der Hauptfeldwebel zuckte die Achseln. »Weiß nich. Yeats soll tot sein, soweit ich gehört hab, armer Kerl. Is bei irgend ’nem Kommandounternehmen umgekomm’. Da muss er wohl beim Militär geblieben und woanders hingegangen sein, wo das Klima besser is. Woll’n Se über die andern auch was wiss’n? Glau’m Se etwa, einer von denen hätte ’n umgebracht?« Er schüttelte den Kopf. »Wüsste nich, warum. Aber das is Ihre Sache. Gott sei Dank hab ich nix damit zu tun. Ich muss nur darauf acht’n, dass die Jungs hier in Ägypten für Ordnung sorg’n.« Dabei wies er mit einer Hand auf die dunklen Umrisse der Kaserne.
    »Denken Sie, dass das schwierig sein wird?«, fragte Pitt, mehr um etwas zu sagen, als weil er der Ansicht war, der Mann wisse etwas darüber. Doch fiel ihm auf, dass ihm die Antwort wichtig war. Die zeitlose Schönheit des Landes würde ihn begleiten, wenn er in die Hektik des modernen Lebens in London zurückkehrte. Er würde immer wünschen, er hätte genug Zeit und Geld gehabt, den Nil hinaufzufahren, das Tal der

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