Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
für sie keine Möglichkeit, das zu verhindern. Es kann ohne weiteres Zufall sein, dass er in jener Nacht gerade in dem Augenblick bei ihr eintraf, als sie die Leiche wegschaffen wollte. Sie konnte unmöglich sicher sein, ob er ihr helfen oder die Polizei rufen würde. Mit einem Funken Selbsterhaltungstrieb hätte er Letzteres getan.«
    »Aber warum hat sie all die Jahre gewartet?«, mischte sich Charlotte ein. »Wenn jemand meine Angehörigen auf diese Weise umbringen würde, wäre ich nicht so geduldig.«
    Narraway sah sie mit einer Mischung aus Neugier und Interesse an. »Ich auch nicht«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Irgendetwas muss sie wohl daran gehindert haben, es früher zu tun. Vielleicht wusste sie ursprünglich nichts davon? Oder sie hatte niemanden, der ihr half. Hatte keine Macht oder kein Geld. Kann sein, sie war nicht vollständig überzeugt oder brauchte Unterstützung.« Er sah abwechselnd Pitt und Charlotte an, als erwarte er von ihnen eine Antwort. »Was könnte Sie in einem solchen Fall zum Warten veranlassen, Mrs Pitt?«
    Sie bedachte sich nur kurz. Ein mit sechs grauen Kaltblütern bespanntes Brauereifuhrwerk rumpelte vorüber. Schwer schlugen die
Hufe der langmähnigen Tiere auf die Pflastersteine, ihr blank geputztes Geschirr klirrte leise. »Wenn ich nicht wüsste«, sagte sie dann, »dass es meine Angehörigen getroffen hat oder wer die Täter waren und wo ich sie finden kann. Oder ich müsste mich in einer Situation befinden, aus der ich nicht herauskönnte ...«
    »Zum Beispiel?«, unterbrach Narraway sie.
    »Krankheit. Nehmen wir an, ich müsste ein Kind oder einen Verwandten pflegen oder jemanden schützen, der es auszubaden hätte, wenn ich handelte. Vielleicht jemand, der in die Sache verwickelt ist. Eine Art Geisel oder so etwas.«
    Bedächtig nickend sah Narraway Pitt mit gehobenen Brauen an.
    »Ausschließlich Unwissenheit wäre für mich ein Grund, nicht tätig zu werden«, sagte dieser. Im selben Augenblick zuckte in seiner Erinnerung etwas auf. »Die Geschichte mit dem Feuer kannte ich, aber die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt, es sei ein Unfall gewesen. Woher mag Miss Sachari gewusst haben, dass es sich anders verhält?«
    Narraways Züge verhärteten sich. »Eine berechtigte Frage, auf die ich gern die Antwort wüsste. Bedauerlicherweise habe ich keine Ahnung, wo ich mit der Suche danach anfangen soll. Es gibt noch vieles, was ich gern über diesen Fall wüsste – beispielsweise, ob Ayesha Sachari die eigentliche treibende Kraft hinter der Geschichte ist oder im Auftrag eines Dritten oder mit ihm zusammen handelt. Wer weiß etwas über das Massaker, und warum hat man es in Ägypten nicht an die Öffentlichkeit gebracht? Aus welchem Grund haben die Leute erst so lange gewartet und schlagen jetzt hier in London zu?« Bei dieser Frage klang seine Stimme hart und scharf, als treibe ihn eine Gefühlsaufwallung an, die er kaum beherrschen konnte. »Vor allem aber wüsste ich gern: Geht es ihnen ausschließlich um persönliche Rache, oder ist das erst der Anfang?«
    Weder Pitt noch Charlotte gaben ihm eine Antwort. Die Frage war zu schwierig und die möglichen Antworten zu entsetzlich.
    Beinahe mechanisch legte Pitt Charlotte einen Arm um die Schulter und zog sie näher an sich. Zu sagen gab es nichts.

KAPITEL 12
    V espasia war im Damenzimmer damit beschäftigt, weiße Chrysanthemen und kupferfarbenes Buchenlaub in einer flachen Lalique-Schale zu arrangieren, als sie im Vestibül eine laute und offenbar unbeherrschte Männerstimme hörte. Überrascht wandte sie sich um, als die Tür aufflog und Ferdinand Garrick an ihrem Dienstmädchen vorüber mit vor Zorn hochrotem Gesicht hereinplatzte. Unmittelbar vor dem Aubusson-Teppich blieb er stehen. Auf seinen Zügen lag ein Ausdruck, der an Verzweiflung zu grenzen schien.
    »Guten Morgen, Ferdinand«, sagte Vespasia kühl und bedeutete der Bediensteten mit einem leichten Nicken, dass sie gehen könne. Hätte sie nicht bemerkt, dass Garricks Gefühle echt waren, hätte sie das so eisig gesagt, dass sogar der Prinz von Wales die Zurückweisung begriffen hätte. »Ich nehme an, dass etwas Fürchterliches geschehen ist und Sie der Ansicht sind, ich könnte Ihnen helfen.« In einer solchen Situation war Vespasia mitunter bereit, Verstöße gegen die Form zu übersehen, und für einen Augenblick vergaß sie sogar ihre tiefe Abneigung gegenüber der selbstgerechten Religiosität ihres Besuchers.
    Garrick war

Weitere Kostenlose Bücher