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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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verblüfft. Inzwischen war ihm zu Bewusstsein gekommen, dass er sich unverzeihlich ruppig benommen hatte und er eigentlich damit rechnen musste, statt Verständnis würdevoll vorgetragene Empörung zu erfahren. Das brachte seine Selbstsicherheit ins Wanken. Er stand stocksteif da und atmete schwer.
Sogar aus der Entfernung konnte sie sehen, wie sich seine Brust hob und senkte.
    Sie brach die beiden letzten Stängel ab, legte die Blüten in einen Kranz von Buchenblättern und stellte die Schale auf ein niedriges Tischchen. Das Arrangement war exquisit und ebenso schön wie im Sommer, wenn sie statt der Chrysanthemen blutrote Päonienblüten nahm.
    »Sagen Sie mir, was vorgefallen ist«, gebot sie. »Falls Sie Tee möchten, lasse ich welchen kommen. Aber vielleicht wäre Ihnen das im Augenblick nur lästig?«
    Mit einer schroffen Handbewegung tat er das Angebot ab. »Mein Sohn schwebt in größter Gefahr. Die Leute, die den jungen Lovat umgebracht haben, sind hinter ihm her, und jetzt hat ihn Ihr verrückter Polizist von dem einzigen Ort entführt, an dem er sicher war!«, stieß er mit brennenden Augen anklagend hervor. Mit zitternder Stimme und schwer atmend fuhr er fort: »Sagen Sie den Leuten um Gottes willen, dass sie die Finger davon lassen sollen! Sie ahnen nicht, in was sie sich da einmischen! Die Katastrophe wird ...« Offensichtlich überstieg es seine Möglichkeiten, ihr deren Ausmaß zu beschreiben, und so sah er sie mit dem Ausdruck hilfloser Wut an.
    Sie merkte, dass es wenig Zweck hatte, in besonnener Weise mit ihm reden zu wollen. Offenkundig trieb ihn eine panische Angst, die ihn daran hindern würde, sich Vernunftargumente anzuhören.
    »Sofern tatsächlich Pitt Ihren Sohn von dort fortgeschafft hat, dürfte es das Beste sein, dass Sie ihn von der Gefahr in Kenntnis setzen«, sagte sie gelassen. »Zwar bezweifle ich, dass er sich vormittags zu Hause befindet, aber vielleicht kann ich ihn doch aufspüren. Sollte mir das gelingen, werde ich ihm allerdings genau sagen müssen, um welche Gefahr es sich handelt, damit er Stephen davor schützen kann.«
    »Der Mann ist verrückt!«, stieß Garrick mit sich beinahe überschlagender Stimme hervor. »Ohne auch nur zu ahnen, was er tut, hat er eine Sache aufgerührt, die einen ganzen Kontinent in Brand setzen könnte!«
    Vespasia war verblüfft. Zwar verstand sie nicht, was Garrick mit seinen unbeherrschten Worten meinte, aber obwohl sie den Mann nicht ausstehen konnte, wusste sie, dass er ein glänzender Soldat gewesen war. Er hatte mit Sicherheit nicht genug Vorstellungskraft, um sich so etwas auszudenken.
    »Bitte beruhigen Sie sich wenigstens so weit, dass Sie mir sagen können, was ich ihm mitteilen muss«, sagte sie entschlossen. »Ich kann ihm keine Befehle erteilen, sondern ihn höchstens überzeugen. Wo war Ihr Sohn Stephen, und wann haben Sie erfahren, dass ihn Pitt von dort weggeholt hat?«
    Garrick unternahm eine übermenschliche Anstrengung, seine Panik zu beherrschen, doch gehorchte ihm seine Stimme nach wie vor nicht.
    »Die Leute, die Lovat umgebracht haben, würden vor nichts zurückschrecken, um auch Stephen zu töten und Sandeman, sofern sie ihn aufspüren können. Stephen hat das gewusst!« Sein Gesicht war hochrot, seine Verlegenheit unübersehbar, dennoch fuhr er mit etwas mehr Fassung fort: »Es ging ihm ... nicht gut ...«
    Vespasia ging schweigend über die Beschönigung hinweg. Sie wusste, welche äußere Gestalt die Krankheit angenommen hatte, doch da es jetzt um deren Ursache ging, unterbrach sie ihn nicht.
    »Er hatte Anfälle von Delirium«, fuhr Garrick etwas ruhiger fort. »Ich musste ihn in eine Anstalt geben ...« Er holte tief Luft und zitterte dabei. »In die Irrenanstalt von Bethlehem.«
    Vespasia war deren Ruf durchaus bekannt, und so waren keine Worte nötig, um ihr das Elend und Entsetzen auszumalen, die dort herrschten. Dass der Mann seinen eigenen Sohn in eine solche von Menschen geschaffene Hölle schickte, sagte ihr mehr über seine Angst, als Worte vermocht hätten.
    »Und Pitt hat ihn dort also gefunden und herausgeholt?«, fragte sie. »Glauben Sie nicht, dass er in Wahrheit Stephens Kammerdiener Martin Garvie suchte? Sie haben ihn doch mit hingeschickt, nicht wahr?«
    Fassungslose Überraschung malte sich auf seinem Gesicht. »Sie scheinen mehr über die Sache zu wissen, als ich angenommen
hatte. Ja, ich vermute, Garvie könnte eher zu seinem Kreis von ...« Er hielt inne, weil ihm plötzlich zu Bewusstsein

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