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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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der Grund für die an ihm wahrnehmbare Veränderung sei, dass er nicht mehr von der Schuldlosigkeit seiner Geliebten überzeugt war. Er sah weniger wie ein Märtyrer aus und eher wie jemand, dessen Träume man zerstört hat.
    Sie zwang sich zu einem leichten Lächeln, das sich auf ihren Zügen ausbreitete.
    »Mein lieber Saville«, sagte sie. »Für dies Privileg werde ich künftig einer ganzen Reihe von Menschen einen Gefallen schulden.« Das entsprach nicht unbedingt der Wahrheit, aber ihr war bewusst, dass ihn das wenigstens einen Augenblick lang freuen würde. »Auch habe ich nur wenige Minuten, bis irgendein pflichtbesessener Schließer kommt und mich abholt«, fuhr sie fort. »Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht einen Dienst gibt, um den Sie sonst niemanden bitten konnten und den ich Ihnen möglicherweise leisten kann. Wenn dem so ist, sollten Sie das besser jetzt gleich sagen, für den Fall, dass wir keine weitere Möglichkeit haben, unter vier Augen miteinander zu sprechen.« Gewiss, es war herzlos, die Situation auf diese Weise unverhüllt zu beschreiben,
doch hatte sie nicht genug Zeit, um die Dinge herumzureden. Es gab nur diesen Augenblick, keinen anderen.
    In bewundernswerter Weise beherrscht und gefasst, teilte er ihr seine Wünsche mit. Bestimmte Vermächtnisse an Angestellte, die ihm treu gedient hatten, waren bereits geregelt, aber es gab noch den einen oder anderen Menschen, dem er Dank schuldete, oder diesen oder jenen, bei dem er sich entschuldigen musste. Vor allem Letzteres machte ihm zu schaffen, und er war dankbar, dass sie versprach, in seinem Sinne zu handeln, sollte das nötig werden. Er durfte sich darauf verlassen, dass sie das in angemessener Weise und mit der dafür angebrachten Mischung aus Offenheit und Zurückhaltung tun würde.
    Der Wärter kehrte zurück. Eisig forderte sie ihn auf zu warten. Das tat er, blieb aber dabei an der Tür stehen.
    »Brauchen Sie noch etwas?«, fragte sie Ryerson. »Irgendeinen persönlichen Gegenstand, den ich Ihnen bringen könnte?«
    Ein schwaches Lächeln trat auf seine Züge und verschwand wieder. »Nein, vielen Dank. Das hat mein Kammerdiener jeden Tag getan. Ich bin so –«
    Mit erhobener Hand gebot sie ihm zu schweigen. »Ich weiß«, sagte sie rasch. Sie sah zu dem Wärter hin und ließ sich von ihm die Tür aufhalten. »Gott befohlen, Saville, jedenfalls für den Augenblick.« Sie ging, ohne sich noch einmal umzuwenden. Sie hörte, wie Stahl auf Stahl schlug, als sich die Tür schloss und die schweren Bolzen einrasteten.
    Kurz vor dem Ausgang kam ihr ein bescheiden gekleideter Ägypter mit einer Stofftasche entgegen, der mit abgewandten Augen nahezu lautlos an ihr vorüberging. Ob das der Diener der Ägypterin war, der ihr frische Wäsche und andere Dinge brachte, die sie benötigte? Er bewegte sich so unauffällig, dass man glauben konnte, er beherrsche die Kunst, sich unsichtbar zu machen. Wäre er anders gekleidet, sie würde ihn nicht wiedererkennen, wenn sie ihm an einem anderen Ort begegnete. Sie musste daran denken, dass er einem völlig anderen Kulturkreis angehörte. Dann kam ihr der Gedanke, dass sie sich nicht erinnern konnte, Miss Sachari je
gesehen zu haben, die Frau im Zentrum des Sturms, der im Begriff stand, Ryerson und möglicherweise auch Stephen Garrick zu zerstören. Sofern sie ihr begegnet war, würde sie sich doch gewiss daran erinnern?
    Sie trat auf die Straße, wo ihre Kutsche auf sie wartete. Tief in Gedanken versunken, ließ sie ausnahmsweise zu, dass ihr der Lakai hineinhalf.
     
    An diesem nassen und windigen Abend war Gracie allein im Haus. Das Ehepaar Pitt unternahm einen schon seit längerer Zeit fälligen Besuch bei Charlottes Mutter. Es war bereits ziemlich spät, als es plötzlich an der Hintertür klopfte.
    Sie wartete. Das Klopfen wiederholte sich, lauter und eindringlicher.
    Sie nahm das Nudelholz zur Hand, entschied sich dann aber für das Tranchiermesser. Sie verbarg es in den Falten ihres Rocks, schlich an die Hintertür und riss sie auf.
    Tellman stand davor. Er hatte die Hand erhoben, um erneut zu klopfen. Er machte ein bedrücktes Gesicht und schien zu frieren.
    »Sie hätten fragen müssen, wer da ist, bevor Sie aufmachen!«, sagte er sofort.
    Sein Tadel ärgerte sie. »Hör’n Se auf, mir zu sagen, was ich zu tun hab, Samuel Tellman!«, gab sie zurück. »Dazu ha’m Se kein Recht. Das is mein Haus, nich Ihrs!« Kaum hatte sie das gesagt, als sie merkte, dass ihr Herz vor unterdrückter

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