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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Stunden im ganzen Land
und schon bald darauf in der ganzen Welt bekannt sein.« Sein Gesicht sah aus, als hätte man ihn geschlagen. »In Ägypten wird es einen Aufstand geben, neben dem die Erhebung des Mahdi und das Blutbad im Sudan wie eine Teegesellschaft in einem Pfarrgarten aussehen wird. Sogar die Sache mit Gordon in Khartoum wird im Vergleich damit als zivilisierte Auseinandersetzung zwischen zwei Völkern erscheinen. In dem Fall kann es gar nicht ausbleiben, dass wir Suez verlieren.« Mit angespannten Schultern ballte er die Fäuste. »Gott im Himmel! Was für ein entsetzliches Fiasko. All unsere Bemühungen waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt«, stieß er verzweifelt hervor.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte Pitt langsam, als ertaste er bedächtig seinen Weg in einer undurchdringlichen Finsternis. »Warum gerade jetzt? Sofern sie mit der Absicht nach London gekommen ist, das Massaker an die Öffentlichkeit zu bringen – warum dann der ganze Umstand mit Ryerson und dem Versuch, die Herstellung von Baumwolltextilien wieder nach Ägypten zu verlagern, und schließlich der Mord an Lovat?« Er sah Narraway verständnislos an. »Warum hat sie die Sache nicht einfach in Ägypten bekannt gemacht? Das Beweismaterial ist im Lande. Man hätte die Leichen exhumieren können. Auch wenn sie verbrannt worden sind – bei über dreißig Erschossenen hätte man sicher noch von den Kugeln durchschlagene oder abgesplitterte Knochen gefunden, als Beweis dafür, dass das Feuer nicht etwa zufällig entstanden war. Warum diese ganze Mordgeschichte und die Verhandlung? Warum sollte sie überhaupt ihr Leben aufs Spiel setzen? Wenn den Leuten die Hintergründe des Massakers bekannt sind, müsste denen angesichts der Möglichkeit, das Ganze öffentlich zu machen, die Ermordung eines der dafür verantwortlichen Soldaten geradezu unerheblich erscheinen. Wie die Dinge jetzt liegen, muss man doch sagen, dass die Leute das Ganze mit geradezu lächerlich anmutender Unfähigkeit gehandhabt haben.«
    Narraway sah ihn mit weit offenen Augen an. »Was wollen Sie genau damit sagen, Pitt? Dass jemand die Frau benutzt hat und jetzt für entbehrlich hält?«
    »Ich vermute ... ja«, stimmte Pitt zu. »Wer hätte einen Vorteil davon, Ryerson in die Sache zu verwickeln?«
    »Nun, es würde ein großes Echo in der Öffentlichkeit hervorrufen«, sagte Narraway sogleich. »Die Ermordung eines untergeordneten Diplomaten ist nicht weiter erheblich. Wenn Journalisten in ganz Europa über den Fall berichten, dann ausschließlich, weil Ryerson in ihn verwickelt ist. Wir hätten nicht die geringste Aussicht, Stillschweigen darüber zu bewahren. Damit würde aber nicht nur das gewalttätige Ereignis mit allen entsetzlichen Einzelheiten an die Öffentlichkeit kommen, sondern auch alle törichten und widerlichen Schritte, die man seither unternommen hat, um zu verhindern, dass es bekannt wurde.«
    »Sie ist also in der Überzeugung ins Land gekommen, etwas für die ägyptische Baumwollindustrie tun zu können, während ihre Auftraggeber von Anfang an die Absicht hatten, diesen Fall publik zu machen?« Für Pitt ergab das fraglos einen Sinn, denn jetzt passte alles ins Bild, was er in Alexandria über Ayesha Sachari erfahren hatte. Wieder einmal hatte jemand sie verraten, aber diesmal würde es sie das Leben kosten. Eine einzige Frage blieb zu beantworten. »Was hat man ihr gesagt, um sie dazu zu bringen, dass sie Lovat tötete?«, fragte er. »Oder hat sie es gar nicht getan?«
    Narraway sah ihn erst verblüfft an, dann nachdenklich. »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. »Nehmen wir an, sie hat die Tat nicht begangen – wer war es dann?«
    Pitt stand auf. »Ich weiß es nicht.« Eine tiefe Wut quoll in ihm hoch, weil jemand offenkundig sie ebenso wie Ryerson benutzt hatte, mit dem Ziel, demnächst in Ägypten eine Unzahl von Menschen in eine Katastrophe zu treiben. Nicht nur die Schönheit und Wärme Alexandrias würden ihr zum Opfer fallen, sondern auch die Männer und Frauen, deren Gesichter er dort gesehen hatte, ohne ihre Namen zu kennen. Es war ihm in tiefster Seele zuwider, dass er nicht wusste, was da gespielt wurde, und dass er in dieser Geschichte hierhin und dorthin gerissen wurde, ohne zu wissen, was er wirklich glauben sollte.
    »Verschaffen Sie mir eine Besuchserlaubnis bei ihr.« Das war eine Forderung, keine Bitte.
    »Die kann ich erst morgen früh bekommen«, sagte Narraway. »Sie brauchen sie schriftlich«, fügte er

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