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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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viele es waren?«
    »Es ist nur ein Schuss gefallen«, verbesserte ihn Ryerson. Pitt nickte. »Dann ist sie also hinausgegangen, um nachzusehen, und hat Lovat in der Nähe der Lorbeerbüsche tot am Boden gefunden. Was dann?«
    »Ich habe sie gefragt, ob sie wisse, was geschehen ist«, wiederholte Ryerson. »Sie hat gesagt, dass sie nicht die geringste Ahnung habe. Lovat habe sie in Briefen gedrängt, eine alte Liebesgeschichte wieder aufleben zu lassen, was sie ziemlich schroff abgelehnt habe. Er sei nicht bereit gewesen, sich damit zufrieden zu geben, und vermutlich deshalb gekommen.«
    »Um drei Uhr nachts?«, fragte Pitt ungläubig. Er nannte keine Gründe, warum ihm das schwer vorstellbar erschien.
    Zum ersten Mal merkte er Ryerson dessen Ärger an. »Ich weiß es nicht, Mr Pitt! Sie haben Recht, es klingt aberwitzig – aber er war unbestreitbar da! Und da er tot ist und wir niemanden kennen, der mit ihm gesprochen hat, kann ich mir nicht vorstellen, auf welche Weise sich feststellen ließe, was er damit zu erreichen hoffte.«
    Mit einem Mal spürte Pitt, welche Macht von diesem Mann ausging. Seine geistige Kraft und sein Wille hatten ihn in sein hohes Amt gebracht und es ihm ermöglicht, sich dort nahezu zwei Jahrzehnte lang zu halten. Seine Verletzlichkeit in Bezug auf Ayesha Sachari und seine Verwicklung in diesen Mordfall, die ihn gefährdete, hatten Pitt das für eine Weile vergessen lassen. Als er wieder das Wort an ihn richtete, geschah das völlig unabsichtlich mit mehr Respekt. »Und was haben Sie dann getan, Sir?«
    Ryerson stieg die Röte ins Gesicht. »Als mir klar war, dass er mit ihrer Pistole erschossen worden war, habe ich gesagt, dass wir die Leiche wegschaffen müssten.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass es Ihr Einfall war?«
    Ryersons Gesicht verhärtete sich ein wenig. »Ja.«
    Pitt fragte sich, ob er mit dieser Aussage die Frau zu decken versuchte, hatte aber nicht den geringsten Zweifel, dass er von ihr
auch dann auf keinen Fall abrücken würde, wenn sie nicht der Wahrheit entsprach. Er hatte sich festgelegt, und es passte nicht zu seinem Wesen, einen Rückzieher zu machen, ganz gleich, ob der Grund dafür Stolz, Ehrgefühl oder einfach die Wahrheit war.
    »Ich verstehe. Haben Sie oder Miss Sachari die Schubkarre geholt?«
    Ryerson zögerte einen Augenblick. »Sie. Sie wusste, wo sie stand.«
    »Und sie hat sie dort hingebracht, wo der Tote lag?«
    »Ja, er und die Pistole. Ich habe ihr geholfen, ihn auf die Schubkarre zu legen. Er war schwer, und wir hätten es fast nicht geschafft. Der Körper war ganz schlaff und ist uns immer wieder entglitten.«
    »Haben Sie oben oder unten angefasst?« Pitt kannte die Antwort und wollte sehen, ob der Mann die Wahrheit sagte.
    »Natürlich oben«, sagte Ryerson ein wenig aggressiv. »Der Oberkörper ist schwerer. Der Einschuss befand sich in der Brust, sodass er dort blutete. Das war Ihnen doch sicherlich klar?«
    Es ärgerte Pitt, dass ihm die Situation peinlich war, und er wünschte, er hätte die Frage nicht gestellt. »Warum haben Sie ihn auf die Schubkarre gelegt? Was hatten Sie mit ihm vor?«, fuhr er fort.
    »Wir wollten ihn zum Hyde Park bringen. Bis dorthin sind es keine hundert Schritt.«
    »Mit der Schubkarre?«, entfuhr es Pitt überrascht.
    Zornesröte trat auf Ryersons Gesicht. »Natürlich nicht! Man kann ja wohl kaum eine Leiche auf einer Schubkarre durch die Straßen fahren, nicht einmal um drei Uhr nachts! Ich bin zum Stall gegangen, um das Pferd anzuschirren. Miss Sachari wollte ihn dorthin bringen. In dem Augenblick kam die Polizei. Ich bin zurückgekommen, als ich die Stimmen hörte. Auf meinem dunklen Anzug konnte man Lovats Blut nicht sehen, und der Beamte hat offenbar angenommen, ich sei gerade erst eingetroffen. Um mich zu decken, hat ihn Miss Sachari sofort in dieser Annahme bestärkt. Ich wollte ihr schon widersprechen, doch dann habe ich mir gesagt, dass es besser wäre, wenn ich in Freiheit bliebe, um mich für sie einsetzen zu können.«
    Wieder war Pitt verwundert. Eine solche Aussage hätte er bei jedem anderen bezweifelt, aber diesem Mann glaubte er sie. Er hatte an keiner Stelle versucht, seine Anwesenheit oder seine Beteiligung zu beschönigen, obwohl ihm sicherlich bewusst war, dass der Versuch, eine Leiche vom Tatort zu entfernen, strafbar war.
    »Und auf welche Weise wollen Sie sich für sie einsetzen?«, fragte Pitt und sah ihn fest an.
    Plötzlich trat Verzweiflung in Ryersons Augen. Einen flüchtigen Augenblick

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