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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich Gracie um Gelassenheit. »Das soll se ja auch gar nich! Tilda hat mir die Geschichte erzählt, un ich hab gefragt, ob Se mir helf’n könn’n. Für mich sin Se nich die Polizei, sondern ’n guter Bekannter. Jedenfalls hab ich das bis jetz geglaubt. Ich hab Se um Hilfe gebet’n und nich darum, ’nen Fall aufzuklär’n.«
    »Und was soll ich Ihrer Ansicht nach tun?« Die Unvernunft, die sie seiner Auffassung nach an den Tag legte, veranlasste ihn, die Stimme zu heben.
    Mit letzter Kraft schluckte sie die Antwort herunter, die ihr auf der Zunge lag, und zwang sich zu einem bezaubernden Lächeln. »Vielen Dank«, sagte sie betont herzlich. »Ich hab ja gleich gewusst, dass Sie mir helf’n würd’n, wenn Se ers ma verstand’n ha’m, worum ’s geht. Se könnt’n zum Beispiel mal Mr Garrick fragen, wo sich Martin aufhält. Natürlich brauch’n Se dem kein’ Grund dafür sag’n. Vielleicht war er ja sogar Zeuge.«
    »Zeuge wessen?« Seine Brauen fuhren verwundert in die Höhe.
    Sie achtete nicht darauf. »Was weiß ich. Lass’n Se sich einfach was einfall’n.«
    »Ich habe nicht das Recht, mir nach Gutdünken die Autorität der Polizei anzumaßen und achtbare Bürger grundlos zu befragen!« Er sah so gekränkt drein, als hätte sie seine Rechtschaffenheit infrage gestellt.
    »Sind Se doch nich so ... so ...« Sie wusste kaum noch, was sie sagen sollte. Sie konnte ihn trotz seiner hölzernen Art und seiner Schwerfälligkeit gut leiden, trotz seiner stetigen Bereitschaft, sich zu empören, wusste sie doch, dass sich hinter seinen Hinweisen auf
Richtlinien und herkömmliche Verfahrensweisen ein tiefes Mitgefühl verbarg. Mitunter aber erzürnte sie die Unbeugsamkeit, zu der man ihn erzogen hatte, über alle Maßen. Jetzt war es wieder einmal so weit. »Könn’ Se denn nich weiter kuck’n wie Ihre Nasenspitze?« , fragte sie. »Manchmal glaub ich, Se ha’m Ihr’n Verstand im Buch mit ’n Dienstvorschrift’n eingesperrt. Merk’n Se nich, wann’s um Le’m un Gefühle geht? Könn’ Se nich erkenn’, was in ’nem Mensch’n vor sich geht?« Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Mensch’n besteh’n aus Fleisch und Blut ... un se mach’n Fehler. Aber se ha’m auch Träume! Tilda muss unbedingt wiss’n, was mit ihr’m Bruder passiert is ... so sieht das aus, un nich anders!«
    Tellmans Züge verhärteten sich. Er hielt sich an das, was er begriff. »Wer gegen die Vorschriften verstößt, wird am Ende selbst verstoßen«, sagte er bockig.
    Sie begriff, dass sie von ihm nichts weiter zu erwarten hatte. Unmöglich konnte er zurücknehmen, was er gerade gesagt hatte. Von seinem Standpunkt aus hatte er Recht damit, und sie verstand das besser, als sie eingestehen konnte. Sie war ihm gegenüber ungerecht gewesen, hatte nicht bedacht, dass er nicht mehr für Pitt arbeitete, sondern für Wetron, womit ihm keinerlei Freiraum blieb. Schon einmal hatte er seine Anstellung aufs Spiel gesetzt, als er, ohne an sich zu denken, Charlotte, die Kinder und sie selbst aus einer großen Gefahr gerettet hatte. Später, wenn sie nicht mehr so wütend war und es nicht wie eine Entschuldigung oder wie der Versuch aussehen würde, sich bei ihm einzuschmeicheln, würde sie ihm sagen, dass sie das zu würdigen wisse. Gegenwärtig aber kreiste ihr ganzes Denken um Tilda und das, was deren Bruder widerfahren sein mochte.
    »Na schön, wenn Se ihr nich helf’n woll’n, muss ich das eben selber mach’n«, sagte sie schließlich und trat einen Schritt beiseite. Zu ihrem großen Bedauern fiel ihr keine abschließende beißende Bemerkung ein, und so blieb sie lediglich einen Augenblick lang stehen und sah ihn so durchdringend an, als wolle sie ihn in tiefster Seele treffen. Dann wandte sie sich aufseufzend zum Gehen.
    »Das kommt überhaupt nicht infrage«, sagte er schroff.
    Sie kehrte sich ihm erneut zu. »Sag’n Se mir nich auch noch, was ich zu tun hab und was nich, Samuel Tellman! Von Ihnen muss ich mir keine Vorschrift’n mach’n lass’n, un ich tu, was ich für richtig halt’!«, kreischte sie, insgeheim erleichtert, dass er sie nicht einfach ignorierte.
    »Gracie!« Er tat einen langen Schritt auf sie zu, als wolle er ihren Arm ergreifen.
    Sie zuckte übertrieben die Achseln, hüpfte ein wenig beiseite, um ihm auszuweichen, und ging dann, so rasch sie konnte, davon, ohne sich umzusehen. Im Stillen hoffte sie, dass er ihr nachsah, vielleicht sogar folgte.
    Als sie in der Keppel Street durch den Hintereingang ins

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