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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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’nem ander’n Grund?« Herausfordernd fügte sie hinzu: »Wehe, Se sag’n ›Ja‹ – ich versprech Ihn’n, Se werd’n sich wünsch’n, dass Se ’n Mund nie aufgemacht hätt’n!«
    »Selbstverständlich würde sie das nie tun!«, gab er zurück. Mit einem Ruck blieb er stehen und zog sie am Arm beiseite, damit sie den beiden Männern, die gerade auf sie zukamen, nicht den Weg versperrte. »Aber das ist etwas völlig anderes. Sollte sich dieser Martin nicht mehr im Haus seiner Herrschaft befinden, gibt es dafür einen Grund. Entweder wollte er sich verändern, oder man hat ihn entlassen. Im einen wie im anderen Fall hat die Polizei nichts damit zu tun, es sei denn, die Leute reichen eine Klage gegen ihn ein. Das aber wäre ja wohl das Letzte, was Ihre Freundin Tilda wünscht.«
    »Was für ’ne Klage?«, brauste sie auf. »Er hat nix gemacht! Er is einfach von ei’m Tag auf’en ander’n verschwund’n – ha’m Se mir eigentlich zugehört? Kein Mensch weiß, wo er is.«
    »Das stimmt nicht ganz«, verbesserte er. »Ihre Freundin Tilda weiß nicht, wo er ist.«
    »Der Butler auch nich«, fauchte sie aufgebracht. »Nich mal der Stiefelputzer.«
    »Der Butler hat es ihr lediglich nicht gesagt – und warum in aller Welt sollte der Stiefelputzer das wissen?«, knurrte er.
    Allmählich wurde Gracie von einer Art Verzweiflung erfasst. Sie wollte nicht mit Tellman streiten, merkte aber, dass nicht viel fehlte und sie nichts dagegen unternehmen konnte. Inzwischen hatten sie die Ecke der Hauptstraße erreicht und wurden von dem Lärm eingehüllt, den Pferdehufe, Wagenräder und die Stimmen zahlreicher Menschen erzeugten. Passanten hasteten über den Gehweg, und ein Mann kam so nahe an ihr vorüber, dass er ihren Rücken streifte. Tildas Angst war auf sie übergesprungen, und sie merkte, wie ihr die Fähigkeit zum klaren Denken abhanden kam.
    »Stiefelputzer krieg’n’ne Menge mit!«, fuhr sie ihn an. »Ha’m Se eigentlich nix daraus gelernt, dass Se dauernd Leute verhör’n? Se war’n doch oft genug bei Verbrech’n in herrschaftlich’n Häusern un ha’m mitgekriegt, wie Mr Pitt das macht – oder? Hört der sich etwa nich an, was bestimmte Leute zu sag’n ha’m, bloß weil se Drecksarbeit mach’n? Auch die ha’m Aug’n und Ohr’n im Kopf und merk’n, was los is!«
    Sogar im trüben Schein der Straßenlaternen konnte sie sehen, dass er sich große Mühe gab, die Geduld nicht zu verlieren. Ihr war bewusst, dass er das nur ihr zuliebe tat. Gerade das ärgerte sie noch mehr, weil er damit ihrer Ansicht nach eine Art moralischen Druck auf sie ausübte und sie verpflichtete, ihm beherrscht gegenüberzutreten, während alles in ihr tobte und sie ihn am liebsten angeschrien hätte.
    »Das ist mir alles bekannt, Gracie«, sagte er ruhig. »Ich habe selbst so manchen Dienstboten befragt. Wenn der Stiefelputzer nichts über die Sache weiß, bedeutet das höchstwahrscheinlich, dass es damit seine Richtigkeit hat. Alles spricht dafür, dass man den Bruder Ihrer Freundin entlassen hat und er fortgegangen ist. Vielleicht wollte er nicht, dass sie etwas davon erfährt, bis er eine andere Anstellung gefunden hat.« Seine Worte klangen außerordentlich vernünftig. »Er will verhindern, dass sie sich Sorgen macht ... Wer weiß, vielleicht schämt er sich auch. Falls man ihn wegen irgendeiner peinlichen Angelegenheit entlassen hat, weil er sich etwas zuschulden kommen lassen hat, wäre es doch verständlich, wenn er den Wunsch hätte, dass seine Angehörigen nichts davon erfahren.«
    »Un warum hat er ihr dann nich wenigstens ’ne Karte oder ’n Brief zum Geburtstag geschickt?«, trumpfte sie auf. Sie trat einen Schritt von ihm fort und sah ihn offen an. »Das hat er nämlich nich gemacht, un genau deshalb sorgt se sich doppelt.«
    »Sofern er seine Anstellung verloren hat«, gab Tellman mit unnatürlich gelassener Stimme zu bedenken, »und damit auch seine Bleibe, dürfte er wichtigere Dinge im Kopf haben, beispielsweise die Frage, wo er unterkriechen kann und wovon er leben soll!
Wahrscheinlich weiß er in einem solchen Fall nicht einmal, was für ein Wochentag es ist.«
    »Wenn es ihm so schlecht geht, hat se aber doch erst recht Grund, sich zu sorg’n – oder etwa nich?«, schloss sie triumphierend.
    Seufzend stieß er den Atem aus. »Das kann sie natürlich tun – doch ist das für die Polizei auf keinen Fall ein Grund, tätig zu werden.«
    Die herabhängenden Hände zu Fäusten geballt, bemühte

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