Die Frau aus Alexandria
einfachen Zurückweisung seine Grenzen aufzeigen zu können?«, vergewisserte er sich.
Ganz offensichtlich überrascht, entgegnete Ragnall: »So sieht es doch aus. Oder meinen Sie etwa, dass sie ihn aus irgendeinem Grund erst in seinen Bemühungen ermuntert und dann umgebracht hat? Warum um Gottes willen hätte sie das tun sollen?« Er runzelte die Stirn. »Sie sagen, Sie kommen im Auftrag des Sicherheitsdienstes ...«
»Der hatte vor Mr Lovats Tod keine Kenntnis von Miss Sacharis Existenz«, beantwortete Pitt die unausgesprochene Frage, die darin mitschwang. »Ich wollte einfach wissen, wie Sie Mr Lovat einschätzen. Gehörte er Ihrer Ansicht nach zu den Männern, die auch dann nicht aufhören, eine Frau zu behelligen, wenn sie klar und deutlich zu verstehen gegeben hat, dass ihre Bemühungen unerwünscht sind?«
Ragnall sah ein wenig unbehaglich drein. Eine kaum wahrnehmbare Röte stieg ihm in das gut aussehende glatte Gesicht.
»Ja, so etwa habe ich das wohl gemeint.« Er ließ es wie eine Entschuldigung klingen. »Wie man hört, soll die Dame außerordentlich schön sein. Empfindungen von der Art, um die es hier geht, können sich ... bis zur Besessenheit steigern.« Er schürzte die Lippen und schien kurz nach den treffenden Worten zu suchen, um sicherzustellen, dass Pitt ihn richtig verstand. »Sie ist Ägypterin. Frauen wie sie dürfte es hier in London nicht viele geben. Das heißt, sie ist weder alltäglich noch leicht ersetzbar. Manche Männer fühlen sich zum Exotischen hingezogen.«
»Sie hatten regelmäßig mit Mr Lovat zu tun.« Pitt tastete sich langsam voran. »Würden Sie sagen, dass es sich bei ihm um diese Art ›Besessenheit‹ handelte, von der Sie gerade gesprochen haben?«
»Nun ...« Ragnall holte tief Luft und stieß sie dann wieder aus.
»Wenn Sie seinen Ruf zu schützen versuchen, könnten Sie einen anderen Menschen damit in Gefahr bringen«, sagte Pitt mit finsterer Miene.
Ragnall sah ihn fragend an. »Einen anderen?« Dann löste sich seine Verwirrung. »Ach so. Ich nehme an, dass der ganze Unfug, den die Zeitungen über Ryerson verbreiten, nichts als ...« In einer hilflosen Gebärde spreizte er die Hände, um zu verdeutlichen, was er davon hielt.
»Das hoffe ich«, schloss sich Pitt seiner Meinung an. »War Lovat von ihr besessen?«
»Ich ... ich weiß es wirklich nicht.« Ragnall fühlte sich offensichtlich unbehaglich. »Ich kann mich nicht erinnern, dass er in Bezug auf eine Frau je seriöse Absichten hatte ... Wenn es aber doch zu einer etwas ernsthafteren Verbindung kam, war die nie von langer Dauer. Er ...« Jetzt war die Färbung seines Gesichts unverkennbar. »Es schien ihm ziemlich leicht zu fallen, Frauen für sich zu gewinnen und ... fallen zu lassen.«
»Hatte er viele Liebesbeziehungen?«, hakte Pitt nach.
»Ja ... leider. Auch wenn er dabei selbstverständlich meist recht diskret vorging, hat man dies und jenes mitbekommen.« Es war Ragnall schmerzlich bewusst, dass er mit einem Mann, der gesellschaftlich unter ihm rangierte, über ein intimes Thema sprach. Pitt hatte ihn dazu gebracht, seine eigene Schicht oder seine ethischen Grundsätze zu verraten. Beides kränkte sein Selbstwertgefühl.
»Was für Frauen waren das?«, erkundigte sich Pitt, nach wie vor höflich und im Gesprächston.
Ragnall öffnete die Augen weit.
Pitt löste den Blick nicht von ihm. »Man hat Mr Lovat ermordet, Sir«, erinnerte er ihn. »Bedauerlicherweise liegen die Gründe für ein solches Verbrechen nur selten so offen zutage, wie wir das gern hätten, und häufig sind sie schändlich. Ich muss unbedingt
mehr über ihn und die Menschen wissen, mit denen er in näherer Berührung stand.«
»Aber hat ihn nicht diese Ägypterin umgebracht?«, fragte Ragnall, der seine Fassung wiedergewonnen zu haben schien. »Schon möglich, dass es unklug von ihm war, sie weiter zu bedrängen, nachdem sie anscheinend nichts mehr von ihm wissen wollte, aber das ist doch kein Grund, einen anderen mit in die Sache hineinzuziehen?« Er unternahm keinen Versuch, den angewiderten Ausdruck auf seinem Gesicht zu unterdrücken.
»Auf den ersten Blick könnte man das annehmen«, räumte Pitt ein. »Allerdings bestreitet sie die Tat, und wie Sie selbst gesagt haben, scheint es eine unnötig gewalttätige Art zu sein, sich einen unerwünschten Kavalier vom Halse zu schaffen. Nach allem, was ich bisher über Miss Sachari gehört habe, ist sie eine Dame von Welt die wohl auch früher schon mit
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