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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wusste, wie man sich als Herr benimmt, besaß einen gewissen Charme, und jede Art von niedriger Gesinnung war ihm fremd.«
    Pitt fühlte sich von der Welle des Bedauerns erfasst, die ihn jedes Mal überrollte, wenn er einen Mordfall aufzuklären hatte. Seinem Empfinden nach waren der Verlust eines Lebens, die Leidenschaft, die Verletzlichkeit, die Tugenden und die Eigenheiten des Opfers weit wichtiger als die Suche nach den Einzelheiten, aus denen man die Wahrheit zusammenklauben musste. Hier war ein Leben zu Ende gegangen, und zwar nicht auf natürliche Weise durch Altersschwäche, sondern ohne Vorankündigung, ein unerfülltes Leben. Mit einem Mal wirkten die Schwächen oder Missetaten des Toten so unbedeutend, dass man sie hätte vergessen können.
    Ihm war klar, dass die analytische Schärfe seines Verstandes leiden würde, wenn er sich seinen Gefühlen hingab. Seine Aufgabe
war es, die Wahrheit zu finden, ganz gleich, wie schmerzlich sie sein mochte, und es war auch unerheblich, ob das leicht oder schwer war, einfach oder kompliziert.
    »Ich brauche die Namen derer, die zu seinem näheren Bekanntenkreis gehörten«, sagte er. »Natürlich ist es denkbar, dass sich seine völlige Schuldlosigkeit herausstellt, Mr Ragnall, aber ich darf sie nicht von vornherein als gegeben voraussetzen. Wenn Miss Sachari oder sonst jemand für diesen Mord gehängt wird, dann einzig und allein deshalb, weil wir mit Sicherheit ermittelt haben, was geschehen ist und warum.«
    »Natürlich.« Ragnall zog ein Blatt Papier zu sich heran, nahm eine Feder zur Hand, tauchte sie in das Tintenfass und begann zu schreiben. Dann trocknete er die Tinte und schob Pitt das Blatt hin.
    Pitt nahm es und warf einen Blick darauf. Es waren Namen von Männern und von Klubs, in denen man sie finden konnte. Er dankte Ragnall und verabschiedete sich.
     
    Pitt suchte einige der auf Ragnalls Liste verzeichneten Männer auf, erfuhr aber von ihnen kaum etwas. Sie waren offenkundig nicht bereit, etwas über einen Kollegen zu sagen, der sich nicht wehren konnte, weil er tot war. Das hatte weniger mit Freundestreue zu tun als damit, dass sie zu ihren eigenen Idealen standen. Vielleicht befürchteten sie auch, dass jemand, der auf diese Art Verrat beging, seinerseits damit rechnen musste, verraten zu werden, wenn seine eigenen Schwächen zur Diskussion gestellt wurden.
    Um die Mitte des Nachmittags hatte Pitt jede Hoffnung auf gegeben, auf diesem Weg etwas Nützliches zu entdecken. So beschloss er, als Nächstes seinen Schwager Jack Radley aufzusuchen, der sich in seiner Eigenschaft als Unterhausabgeordneter seit längerem vor allem mit der Außenpolitik beschäftigte. Zwar traf er ihn im Parlament nicht an, stieß aber kurz nach vier auf ihn, wie er im Sonnenschein quer durch den St. James’s Park spazierte. Eine leichte Brise trieb einige Blätter, die sich früh verfärbt hatten, über den Rasen.
    Als Pitt Jacks Namen rief, blieb dieser stehen und wandte sich um. Offenbar war er angenehm überrascht, ihn zu sehen.
    »Arbeitest du etwa am Fall Eden Lodge?«, fragte er knapp, während sie nebeneinander hergingen.
    »Bedauerlicherweise ja«, erwiderte Pitt. Sie kamen gut miteinander aus, sahen sich aber nur selten, da sie nicht nur unterschiedlichen Gesellschaftskreisen angehörten, sondern auch beide durch ihren Beruf stark in Anspruch genommen waren. Jack, der selbst nicht vermögend war, hatte es immer verstanden, so gut zu leben, wie es seiner Herkunft entsprach. Während er sich dabei anfangs seinen unleugbaren Charme zunutze gemacht hatte, stand ihm seit der Eheschließung mit Emily das Vermögen zur Verfügung, das diese von ihrem ersten Mann geerbt hatte.
    In den ersten ein, zwei Jahren hatte er sich damit begnügt, sich wie zuvor einfach in der Gesellschaft zu amüsieren. Dann jedoch hatte er sich der Politik zugewandt, möglicherweise von Emily ein wenig in diese Richtung gedrängt. Zum Teil aber eiferte er wohl auch Pitts Beispiel nach, zumal unübersehbar war, wie viel Hochachtung seine Frau und ihre Schwester Menschen entgegenbrachten, die etwas leisteten.
    »Ich kenne Ryerson nicht persönlich«, sagte Jack. »Er sitzt für Leute wie mich ein paar Etagen zu hoch ... Noch.« Als er Pitts Gesichtsausdruck sah, fügte er rasch hinzu: »Das soll nicht heißen, dass ich aufzusteigen hoffe. Komm also bitte erst gar nicht auf den Gedanken, ich spekulierte auf seinen Sturz. Muss man etwas in der Art befürchten?«, fragte er mit besorgter Miene.
    »Das

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