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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hat er sich geändert«, fuhr Woodside nachdenklich fort, unverwandt den Blick auf seine Füße gerichtet, als wolle er sich vergewissern, dass das Leder nicht angesengt war. »Wer wie er über Jahre hinweg ein Regierungsamt ausfüllt, den kann das weiß Gott mitnehmen. So etwas macht ziemlich einsam, und die Kollegen in der Politik sind heimtückisch, wenn Sie mich fragen.« Mit einem Mal hob er den Blick. »Tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht
weiterhelfen kann. Keine Ahnung, wer Lovat erschossen haben könnte oder warum.«
    Pitt begriff, dass er damit verabschiedet war, und erhob sich. »Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben, Sir. Ich bin Ihnen sehr verbunden.«
    Der Oberst machte eine wegwerfende Handbewegung und drehte seine Füße wieder in Richtung Kamin.
    Pitt suchte Ryersons Büro in Westminster auf und bat um die Möglichkeit, einige Minuten mit ihm zu sprechen. Nach einer knappen halben Stunde führte ihn ein Sekretär, der ein schwarzes Jackett, eine gestreifte Hose und Vatermörder trug, ins Arbeitszimmer des Ministers. Pitt war überrascht, dass es so schnell ging.
    Ryerson empfing ihn in einem ziemlich dunklen und geradezu hochherrschaftlich eingerichteten Raum. In Bücherschränken, deren Holz so auf Hochglanz poliert war, dass es wie Seide schimmerte, standen in Marocain-Leder gebundene Folianten, deren Rücken in Goldbuchstaben beschriftet waren. Aus den Fenstern fiel der Blick auf das sich langsam verfärbende Laub einer Linde, auf deren borkiger Rinde das Sonnenlicht in der leichten Brise tanzte.
    Der Minister wirkte müde. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und seine Hände spielten unaufhörlich mit einer kalten Zigarre.
    »Was haben Sie herausbekommen?«, fragte er, kaum dass Pitt die Tür hinter sich geschlossen hatte und noch bevor er in dem Ledersessel Platz genommen hatte, den ihm Ryerson mit einer Handbewegung anbot. Er selbst blieb stehen.
    »Lediglich, dass Lovat allem Anschein nach Beziehungen zu vielen Frauen hatte und sich für keine entscheiden konnte«, gab er zur Antwort. »Es sieht ganz so aus, als habe er vielen Menschen Schmerzen zugefügt, worunter manche sehr gelitten haben. Man kann sagen, dass er eine Spur des Unglücks hinter sich gelassen hat.« Er sah Ryerson offen an, erkannte aber auf dessen Zügen weder Zorn noch Überraschung. Man hätte glauben können, Lovat gehe ihn nicht das Geringste an.
    »Betrüblich, aber leider kein Einzelfall«, sagte er stirnrunzelnd. »Wie sehen Sie die Sache – könnte ihn ein betrogener Ehemann erschossen haben?« Er biss sich auf die Lippe, als wolle er sich daran hindern, ein bitteres Lachen auszustoßen. »Ich muss gestehen, dass die Vorstellung absurd ist. So gern ich das glauben würde – aber was sollte so ein gehörnter Ehemann um drei Uhr nachts in Eden Lodge wollen? Von welcher Art waren die Frauen überhaupt, mit denen sich der Mensch abgegeben hat? Damen der Gesellschaft? Hausmädchen? Straßendirnen?«
    »Soweit ich gehört habe, waren es unverheiratete junge Damen«, gab Pitt zurück. Er erkannte den Abscheu auf Ryersons Gesicht. »Frauen, die ein Skandal zugrunde richten würde«, fügte er überflüssigerweise hinzu, von seiner Empörung mitgerissen.
    Schließlich warf Ryerson seine Zigarre ungeraucht in den Kamin. Sie prallte mit einem dumpfen Geräusch an das Messinggitter und fiel von dort auf die verkohlten Reste der Scheite, die kaum noch Wärme abgaben. Er achtete nicht weiter darauf. »Wollen Sie etwa sagen, der Vater einer dieser Frauen habe Lovat die ganze Nacht verfolgt, ihm schließlich im Gebüsch von Eden Lodge aufgelauert und ihn dann erschossen? Zwar haben Sie schon früher Mordfälle untersucht, bei denen die Spur schließlich in die Gemächer des einen oder anderen Aristokraten führte – aber eine solche Geschichte werden Sie mir doch nicht auftischen wollen.« Er sah Pitt aufmerksam an, als wolle er ergründen, was diesen zu einer so widersinnigen Annahme bewegen könnte. In seinem Blick lag nicht Verachtung, wohl aber Verwirrung, und dahinter kaum verborgen eine tiefe und wirkliche Angst.
    In diesem Augenblick ging Pitt etwas auf. Zuerst überraschte es ihn, dann aber sagte er sich, dass er damit hätte rechnen müssen.
    »Sie haben Erkundigungen über mich eingezogen.«
    Ryerson zuckte kaum wahrnehmbar die Achseln. »Das ist doch selbstverständlich. Ich kann es mir nicht leisten, dass sich jemand mit der Aufklärung der Sache beschäftigt, der dieser Aufgabe nicht gewachsen ist.

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