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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Cornwallis hat mir gesagt, dass Sie der Beste sind.« Obwohl das nicht als Frage formuliert war, hob er die Stimme ein
wenig, als wolle er Pitt zu einer Bestätigung auffordern. Man hätte glauben können, er erwarte, dass ihm Pitt versicherte, er habe alles getan, was in seinen Kräften stand.
    Zu seinem Ärger merkte Pitt, dass er verlegen wurde. Er grollte dem Stellvertretenden Polizeipräsidenten, obwohl ihm klar war, dass er offen und geradeheraus gesprochen hatte. Cornwallis gehörte zu den Menschen, die keiner Lüge fähig sind. Seine leichte Durchschaubarkeit zeichnete ihn ebenso aus wie sein Mut und seine einwandfreie moralische Haltung, doch war sie im von politischen Interessen bestimmten Gewirr der Polizeiverwaltung zugleich auch sein größter Nachteil.
    In dieser Hinsicht war sein früherer Vorgesetzter das genaue Gegenteil von Victor Narraway, der die Fähigkeit, andere zu täuschen, ohne rundheraus zu lügen, zu einer wahren Kunst entwickelt hatte. Er war ein gerissener Fuchs, der stets für sich behielt, was er dachte. Sofern es bei ihm eine schwache Stelle gab, hatte Pitt sie noch nicht entdeckt. Ihm war nicht bekannt, ob es in den geheimen Winkeln von Narraways Herzen unerfüllte Träume gab, unverheilte Wunden oder Ängste, die ihn nachts in einsamen Augenblicken quälten, und er hätte nicht einmal andeutungsweise sagen können, was er empfand  – oder ob er überhaupt etwas empfand. Dabei brachte er durchaus Verständnis für die Empfindungen anderer Menschen auf.
    Ryerson sah Pitt aufmerksam an. Offensichtlich wartete er auf eine Antwort.
    »Ja, ich habe meine Nachforschungen an vielen Orten betrieben«, sagte Pitt, »und dabei erkannt, dass manches genauso einfach ist, wie es aussieht, anderes hingegen nicht. Es hat den Anschein, als hätte sich Miss Sachari aus irgendeinem Grund mit Mr Lovat verabredet. Welchen Anlass sollte sie sonst gehabt haben, zu ihm hinauszugehen, und warum hätte sie die Pistole mitgenommen? Falls sie den Verdacht hatte, ein Eindringling befinde sich auf dem Grundstück, wäre sie nicht selbst nach draußen gegangen, sondern hätte ihren Diener geschickt.«
    »Was Sie da sagen, hat Hand und Fuß«, sagte Ryerson knapp. »Möglicherweise ist ihm jemand gefolgt und hat ihn dort ermordet,
damit ein anderer verdächtigt wird – was ja auch ganz offensichtlich gelungen ist.«
    Pitt sagte nichts. Er dachte daran, dass Lovat mit Ayesha Sacharis Pistole getötet worden war und diese Waffe in der Dunkelheit neben ihm auf dem feuchten Boden gelegen hatte. Er sah zu Ryerson auf und merkte, dass dieser im selben Augenblick genau diesen Gedanken gehabt hatte. Eine leichte Röte trat auf die Wangen des Ministers, und er senkte den Blick.
    »Haben Sie Lovat gekannt?«, fragte Pitt.
    Ryerson trat ans Fenster und sah auf das vom Wind gepeitschte Laub, wobei er Pitt den Rücken zukehrte. »Nein. Meines Wissens bin ich ihm nie begegnet und habe ihn zum ersten Mal gesehen, als er im Garten von Eden Lodge am Boden lag.«
    »Hat Miss Sachari je von ihm gesprochen?«
    »Ja, aber ohne seinen Namen zu nennen. Sie hat sich eines Nachmittags ziemlich aufgebracht darüber geäußert, dass ein früherer Bekannter sie belästigte. Das könnte Lovat gewesen sein, aber natürlich auch jemand anders.« Schultern und Hals wirkten starr, während sich seine Hände unaufhörlich bewegten. »Sehen Sie zu, dass Sie die Wahrheit herausbekommen«, sagte er so leise, als spräche er mit sich selbst. Doch der Nachdruck in seiner Stimme verriet deutlich, dass er damit eine Bitte an Pitt richtete, auch wenn er dies Wort nicht benutzte.
    »Gewiss, Sir. Sofern ich das vermag.« Pitt stand auf. Es gab noch vieles, was er gern gewusst hätte, aber alles war so ungreifbar, dass es sich nicht in Worte fassen ließ – Gedanken, Empfindungen, Dinge, die er noch nicht benennen konnte. Außerdem musste er unbedingt mit Narraway sprechen.
    »Danke«, sagte Ryerson. Pitt zögerte einen Augenblick und überlegte, ob er verpflichtet war, ihm mitzuteilen, dass die Wahrheit unter Umständen keineswegs so aussah, wie er sich jetzt zu glauben bemühte, und durchaus schmerzlich sein konnte. Doch das hatte keinen Sinn. Dafür war immer noch Zeit, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ, und so ging er einfach hinaus.
     
    »Was bringen Sie?« Narraway hob den Blick von den Papieren, an denen er arbeitete, und sah Pitt herausfordernd an. Auch er wirkte müde, seine Augen waren rot gerändert und seine Wangen ein wenig

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