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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wichtig das war, was er da gesagt hatte.
    Mit schiefem Lächeln bestätigte Narraway: »So ist es. Ryerson macht sich zum Narren, und irgendjemand unterstützt ihn unauffällig, aber sehr nachdrücklich dabei. Ich bin noch nicht sicher, welche Rolle Miss Sachari in dieser Schachpartie spielt, und ich weiß auch nicht, ob sie das Spiel durchschaut. Ist sie die Dame oder lediglich ein Bauer?«
    »Was könnte dahinter stehen?«, wollte Pitt wissen und beugte sich vor. »Geht es etwa um Baumwolle?«
    »Dieser Gedanke kommt einem unwillkürlich, weil er der nächstliegende ist«, sagte Narraway »Aber er muss nicht unbedingt stimmen.«
    Pitt sah ihn wartend an.
    Narraway lehnte sich in seinen Sessel zurück, doch wirkte das eher resigniert als behaglich. »Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie aus«, sagte er. »Morgen früh melden Sie sich wieder.«
    »Ist das alles?«
    »Was wollen Sie denn noch?«, blaffte ihn Narraway an. »Nutzen Sie die günstige Gelegenheit! Das wird bestimmt nicht immer so bleiben.«

KAPITEL 5
    C harlotte dachte oft an Martin Garvie und überlegte, was ihm zugestoßen sein mochte. Ihr war bekannt, dass Dienstboten nicht selten ein unangenehmes oder gar tragisches Schicksal erlitten, aber auch, dass so mancher sein Missgeschick selbst über sich brachte. Dass Tilda große Stücke auf ihren Bruder hielt, ging zum Teil auf ihre Geschwisterliebe und zum Teil darauf zurück, dass eine junge Frau, die so wenig Lebenserfahrung hatte wie sie, der Welt mitunter recht treuherzig gegenüberstand. Um ihrer selbst willen hätte ihr Charlotte auch gar nichts anderes gewünscht. Obwohl sie etwa in Gracies Alter sein musste, hatte sie nichts von deren Lebhaftigkeit oder Wissbegierde an sich. Womöglich war ihr die bittere Erfahrung des Lebens auf der Straße erspart geblieben, das Gracie in früher Jugend geprägt hatte. Ob Martin sie davor bewahrt hatte?
    Charlotte saß mit Gracie in der Küche. Pitt hatte das Haus vor weniger als einer Stunde verlassen.
    »Was soll’n wir nur mach’n?«, fragte Gracie beklommen mit einer Mischung aus Respekt und Entschlossenheit. Zwar war sie gewillt, sich durch nichts von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen, doch war ihr klar, dass sie dabei auf Charlottes Unterstützung angewiesen war. Sie schämte sich, Tellman vor den Kopf gestoßen zu haben, war verwirrt und empfand zum ersten Mal leise Furcht vor ihren Gefühlen.
    Charlotte bemühte sich eifrig, einen Fettfleck aus Pitts Jackett zu entfernen. Dazu hatte sie bereits ein feines Pulver aus zermahlenen
Schafsfüßen hergestellt. Davon, wie auch von anderen Bestandteilen, aus denen sich Reinigungsmittel machen ließen, hatte sie gewöhnlich einen gewissen Vorrat im Haus: Kerzenstümpfe, Kalk, den Saft von Sauerampfer, Zitronen und Zwiebeln sowie – saubere – Hornspäne von Pferdehufen. Sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit und betupfte den Fleck mit einem mit Terpentin getränkten Lappen. Während sie sprach, sah sie Gracie nicht an, um ihren Worten die Schwere zu nehmen.
    »Vermutlich sollten wir als Erstes noch einmal mit deiner Freundin Tilda sprechen«, sagte sie und nahm das Pulver, das ihr Gracie reichte. Sie schüttete ein wenig davon auf den feuchten Fleck und beäugte ihn kritisch. »Es wäre hilfreich, wenn sie uns ihren Bruder beschreiben könnte.«
    »Wir suchen also nach Martin?«, fragte Gracie überrascht. »Wo fangen wir an? Er könnte sonstwo sein, weit weg ... vielleicht sogar...« Sie hielt inne.
    Charlotte wusste, dass sie hatte sagen wollen, er könne tot sein. Auch sie hatte schon an diese Möglichkeit gedacht. »Es ist nicht einfach, sich nach jemandem zu erkundigen, von dem man nicht weiß, wie er aussieht«, sagte sie und entfernte das Pulver mittels einer kleinen harten Bürste. Jetzt sah die Stelle schon besser aus. Noch ein Durchgang, und das Jackett wäre wieder sauber. »Außerdem würden die Leute dann annehmen, dass wir ihn nicht kennen«, fügte sie mit leichtem Lächeln hinzu. »Das stimmt zwar, aber die Wahrheit wirkt nicht immer besonders überzeugend.«
    »Ich kann Tilda holen, damit sie’s uns sagt«, erbot sich Gracie rasch. »Sie macht ihre Besorgungen meistens um dieselbe Zeit.« Dann verzog sie schmerzlich das Gesicht. »Aber bestimmt will se nich herkomm’n, damit se ihre Stellung nich verliert. Wer rausfliegt un selber schuld is, findet so leicht nix. Un falls Martin was passiert is ...«
    »Ich komme mit«, unterbrach Charlotte sie.
    Gracie machte große Augen.

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