Die Frau aus Alexandria
Zusammenstellung.
»Auch ich habe mich unauffällig ein wenig nach Ayesha Sachari umgehört, habe Bekannte hier am Ort gefragt«, sagte Trenchard nach einer Weile.
Pitt hielt mitten in der Bewegung inne. »Und?«
»Ganz wie ich es vermutet hatte, ist sie koptische Christin. Beim Orabi-Aufstand vor zehn Jahren, also kurz vor der Beschießung Alexandrias, scheint sie in enger Verbindung zu einem der ägyptischen Nationalistenführer gestanden zu haben. Tut mir Leid, Pitt.« Er machte ein betrübtes Gesicht. »Aber es sieht ganz so aus, als wäre sie in der Absicht nach London gegangen, Ryerson einzuwickeln, weil sie es sich in den Kopf gesetzt hat, mit seiner Hilfe dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern auf eine andere Grundlage gestellt werden. Dabei geht es auf jeden Fall um Baumwolle, unter Umständen
aber auch um mehr. Dieser Plan ist ebenso töricht wie undurchführbar, aber sie ist nun einmal eine Idealistin und wollte schon immer mit dem Kopf durch die Wand. Sie hatte sich in einen gewissen Ramses Ghali verliebt. Als er von den Zielen der Nationalisten abgefallen ist, war sie eine der Letzten, die sich der Erkenntnis stellten, dass er ein Verräter war.« Auf Trenchards Züge trat ein Gemisch aus Mitgefühl und tief empfundener Verachtung. Die bloße Erwähnung der Umstände schien ihm unbehaglich zu sein und dafür zu sorgen, dass seine Bewegungen ungewohnt schwerfällig wirkten.
Auch Pitt empfand ein Gefühl der Leere. »Solche Enttäuschungen sind äußerst bitter«, sagte er leise. »Die meisten von uns bemühen sich wohl, sie so lange wie möglich nicht zur Kenntnis zu nehmen.«
Trenchard hob rasch den Blick. »Tut mir wirklich Leid, Pitt. Ich fürchte, Sie werden feststellen, dass Miss Sachari impulsiv und romantisch ist, eine Frau, die erleben musste, dass man ihre Ideale verraten hat, und die jetzt, von ihrem Schmerz getrieben, versucht, die alten Träume zu verwirklichen, ganz gleich, wie unrealistisch die Mittel sein mögen, die ihr dazu verhelfen sollen.«
Pitt sah auf den Bissen, den er in den Fingern hielt. Er hatte allen exotischen Zauber verloren, der noch vor wenigen Minuten von ihm ausgegangen war. Er versuchte sich klar zu machen, dass seine Haltung einfach grotesk war. Er hatte die Frau, die zugelassen hatte, dass persönliche Kränkungen ihren gesunden Verstand trübten, weil sie ihre politischen Ziele nicht erreicht hatte, noch kein einziges Mal gesehen. Sie hatte ihn ausschließlich aus beruflichen Gründen zu interessieren. Mit einem Mal fühlte er sich lustlos und matt, als wäre auch ihm ein Traum zerstört worden.
»Ich will sehen, was ich noch über Lovat ermitteln kann«, sagte er.
Trenchard sah ihn an. Bedauern lag auf seinem Gesicht. »Tut mir wirklich Leid«, sagte er erneut. »Mir ist klar, dass Ihnen eine andere Erklärung sehr viel lieber gewesen wäre. Halten Sie es für möglich, dass sich Lovat in England Feinde gemacht hat?«
»Man hat ihn um drei Uhr nachts im Garten von Miss Sacharis Haus erschossen!«, sagte Pitt mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme. »Mit ihrer Pistole.«
Trenchard machte eine resignierte Bewegung, die anmutig und traurig zugleich wirkte und deren Eleganz den Eindruck erweckte, als habe er sich etwas von der tiefen Würde der Kultur angeeignet, die er so sehr bewunderte.
Sie beendeten ihre Mahlzeit. Trenchard dankte dem Besitzer des Lokals in fließendem Arabisch und bestand darauf, die Rechnung zu begleichen. Anschließend begleitete er Pitt zum Basar, wo er ihn beim Feilschen um einen Armreif mit einem Karneol für Charlotte, eine für Daniel vorgesehene kleine Schnitzerei, die ein Flusspferd darstellte, einige Seidenbänder in kräftigen Farben für Jemima und ein rotes Kopftuch für Gracie unterstützte.
So war es für Pitt ein ertragreicher Nachmittag gewesen: Auf der einen Seite verdankte er ihm die Erkenntnis, dass Jakubs Angaben offensichtlich auf Wahrheit beruhten, und auf der anderen hatte er jetzt herrliche Mitbringsel, für die er sehr viel weniger hatte zahlen müssen, als wenn er sie allein gekauft hätte.
Er dankte Trenchard und kehrte mit der Straßenbahn in sein Hotel zurück, entschlossen, die Kaserne aufzusuchen, in der Lovat gedient hatte. Er wollte die ihm in Alexandria verbleibende Zeit dazu nutzen, möglichst viel über das dienstliche und private Verhalten dieses Mannes herauszufinden. Irgendwann mussten sich seine und Ayesha Sacharis Wege gekreuzt haben, und mit
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