Die Frau aus dem Jenseits!
Er war eben einem Mordanschlag entkommen!
Wenn Aurelius gewusst hätte, dass sogar Beamte der Kriminalpolizei zu solchen Taten fähig waren, wenn sie in die Klauen dieses Geistes fielen, hätte er sicherlich nicht so gelassen in seinem Buch geblättert.
„Ich schätze es zwar, dass sie ständig auf mich achtgeben wollen“, sprach Aurelius weiter. „Doch ich ziehe einen ausgeruhten Detektiv einem vor, der vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen stehen kann.“
„Vorläufig fühle ich noch keine Spur von Müdigkeit“, entgegnete David so entschieden, dass Aurelius es aufgab, ihn zum Schlafen überreden zu wollen.
„Ich werde mich vor dem Haus umsehen, Herr von Bartenstein. Frische Luft tut mir sicher gut.“
David ging hinunter in die Halle und öffnete die Haustür. Verblüfft blieb er stehen. Die Nacht war sehr dunkel, daran erinnerte er sich deutlich. Der Himmel hatte sich bewölkt, der Mond schien nicht. Vor dem Haus gab es keine Laternen.
Und doch war diese Finsternis, die ihm entgegengähnte, unnatürlich. Wenigstens das Licht aus der Halle hätte auf die Marmorstufen vor dem Portal fallen müssen, aber da war nichts!
Fassungslos starrte David in das absolute Nichts. Er biss sich auf die Unterlippe, bis in ihm ein ungeheurer Verdacht aufkeimte.
Rasch schloss er die Tür wieder und lief zu einem der Fenster, riss es auf und beugte sich hinaus.
Hier war es genauso. Nichts!
Kein Licht, kein Baum, kein Strauch.
David rief nach den Beamten der Kriminalpolizei, aber der Klang seiner Stimme wehte in die Leere hinaus und zerfloss.
Bei drei weiteren Fenstern versuchte es der Privatdetektiv, überall mit dem gleichen Misserfolg. Er hetzte in den ersten Stock hinauf, doch auch hier schien die Welt außerhalb des Hauses zu Ende zu sein.
In dem Gebäude selbst war keine Veränderung festzustellen.
Diese neue Entwicklung musste David erst einmal verarbeiten.
Etwas in dieser Art war ihm noch nie untergekommen. Für ihn war klar, dass nur der Geist Selinas dafür verantwortlich sein konnte, dass der Garten mit allem, was dazugehörte, einfach verschwunden war.
Die Frage war nur, was vor dem Haus war!
Handelte es sich nur um eine optische Täuschung?
Hatte der Geist von Selina sozusagen nur einen Vorhang vor Fenster und Türen gezogen, den man durchbrechen konnte? Oder kam jenseits der Mauern wirklich das Nichts?
Noch eine Frage stellte sich der Privatdetektiv. Was sahen in diesem Moment die Polizisten der Kriminalpolizei?
Konnten sie seine verzweifelten Bemühungen beobachten, ins Freie zu gelangen?
David nahm sein Handy aus der Jackentasche. Kein Empfang! Kein Signal seines Anbieters!
Er beschloss ein Experiment zu versuchen. Wieder öffnete er die Haustür, als niemand in der Eingangshalle war. Er tastete sich zur Treppenschwelle. Sofort wurde seine Hand gefühllos und er konnte sie nicht mehr sehen!
Es war, als hätte er sie in dichte Nebelschwaden gesteckt.
David warf die Tür ins Schloss und schaute sich gehetzt um. Auf einem Tischchen stand ein nicht sehr wertvoller gläserner Aschenbecher. Der Detektiv nahm die Schale an sich, öffnete eines der Fenster und schleuderte den Aschenbecher mit aller Kraft hinaus in die Schwärze.
Nichts! Kein Aufprall, kein Echo.
Der Aschenbecher war einfach verschwunden.
Mit einer mutlosen Handbewegung schloss David das Fenster wieder und drehte sich herum. Seine Augen weiteten sich, als er den Aschenbecher unversehrt genau an dem Platz auf dem Tischchen stehen sah, von dem er ihn weggenommen hatte.
Er war aus dem Nichts zurückgekehrt!
Da wusste David, dass der Geist von Selina ihnen jede Möglichkeit geraubt hatte, dieses Haus zu verlassen. Ein unzerreißbares Leichentuch hatte sich über das Gebäude gelegt und hielt seine Bewohner gefangen!
Vorsichtig blickte David um sich. Im Haus war alles ruhig, obwohl die Familie vollzählig daheim war und sich noch niemand zur Ruhe begeben hatte.
Die Uhren zeigten erst auf zweiundzwanzig Uhr. Das Dienstpersonal hatte sich in einen Seitenflügel des Hauses zurückgezogen. Die Mitglieder der Familie Bartenstein waren über den Haupttrakt verstreut. David kannte allerdings nur von Aurelius den genauen Aufenthaltsort, weil nur der Architekt gefährdet schien.
Bisher hatte noch niemand von der Isolierung etwas bemerkt. Früher oder später würden sie es entdecken. David dachte sich, dass je später dies geschah, es besser wäre. Er brauchte seine Kräfte jetzt für wichtigere Dinge als dafür, hysterische
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