Die Frau aus dem Meer
mit Flügeln, der an eine Fledermaus erinnerte.
Er erschrak und stand auf. Doch sobald er stand, erkannte er Maruzza und Minica.
Maruzza war in ein Betttuch gehüllt, und das, was er für Flügel gehalten hatte, waren die zwei losen Enden von Minicas schwarzer Stola.
Ohne ihn zu begrüßen, ohne ihn auch nur anzuschauen, setzte sich Maruzza auf einen Stuhl. Sie kam ihm vor wie eine jener Frauen, die nachts im Schlaf herumgehen, wie eine Schlafwandlerin. Gnazio sah, dass sie auf dem Kopf einen Kranz aus geflochtenen Algen trug.
Minica dagegen war auf dem Weg stehen geblieben. Sie hielt die Nase in die Luft, als schnupperte sie. Erst jetzt bemerkte Gnazio, dass sie einen Krug in der Hand hielt. Ohne sich zu bewegen, ganz still, hielt sie die Nase in die Luft und drehte nur den Kopf mal nach rechts, mal nach links. In der Nähe fing ein Hund an zu knurren, bösartig, verhalten, gefährlich. Das musste Grò sein, aber er war nicht zu sehen, er lag wohl irgendwo zusammengekauert.
«Warum kommt Ihr nicht und setzt Euch zu uns?», fragte Gnazio sie.
Minica machte zwei Schritt vor und blieb wieder stehen. Sie schnupperte immer noch.
Erneut kam sie näher, diesmal vier Schritt, und blieb stehen. Gnazio betrachtete sie ein wenig furchtsam. Jetzt war Minica genau an der Stelle, wo die Fischer Aulissi auf die Erde gelegt hatten. Die Alte bückte sich, stellte ihren Krug ab, nahm einen Stein in die Hand, sah ihn sich an, führte ihn an ihre Nase und roch daran.
Und dann warf sie unversehens den Kopf nach hinten und fing an zu lachen.
Aber das war kein echtes Lachen. Warum lacht einer denn? Doch wohl, weil er zufrieden ist. Oder er lacht, um nicht zu weinen. Aber dieses Lachen war etwas anderes. Gnazio meinte es schon einmal gehört zu haben. Aber wo hatte er es gehört? Ach, richtig! Als er noch in Amerika war, hatte man ihn zur Arbeit an einen Ort geschickt, wo es viele Tiere gab, Löwen, Elefanten, Giraffen, Bären, diesen Ort nannte man «Zoologischer Garten». Und eines dieser Tiere, das Hyäne hieß und Leichen fraß, hatte plötzlich angefangen, genau so zu lachen wie Minica jetzt.
Dann kam die Alte zu Maruzza, die immer noch dasaß und mit offenen Augen zu schlafen schien, und hielt den Stein so unter ihre Nase, wie Gnazio es bei dem Hund mit dem Stück Fleisch gemacht hatte. Maruzza schien plötzlich zu erwachen, zitterte am ganzen Leib, so als hätte sie einen Kälteschock erlebt, nahm den Stein, streckte die Zunge heraus und schleckte ihn ab.
«Όδυσευς πολύτροπος», sagte Minica.
«Ουτις ist jetzt ουτιν geworden!», antwortete Maruzza.
Und fing ebenfalls an zu lachen. Auf Gnazios Haut richteten sich die Härchen auf. Was war das nur für eine Art zu lachen? Unterdessen bellte Grò so wütend, dass die anderen Hunde von den umliegenden Ländereien ihm jetzt antworteten, und auf Maruzzas Lachen, das lauter klang als die Posaunen des Jüngsten Gerichts, setzten alle Tiere mit ihren Stimmen ein: Die Esel machten «Iaaah!», die Ziegen «Määäh!», die Kühe «Muuuh!», die Grillen «Grigrih!», die Katzen «Chchch!», die Hühner «GoGoGokh!», die Frösche «Quakquak!», die Elstern «Krakrah!» … Es war ein Lärm, der erst aufhörte, als Maruzza müde geworden war zu lachen. Sie warf den Stein gegen die Hauswand und versank wieder in ihren seltsamen Halbschlaf. Gnazio hatte, ohne es zu merken, derweil den Weinkrug geleert.
Er stand auf, um zwei weitere Krüge zu holen, und als er an dem Stein vorbeikam, den Maruzza geworfen hatte, bückte er sich und hob ihn auf. Drinnen sah er ihn sich im Schein der Lampe an, und es kam ihm vor, als hätte er einen dunklen Fleck. Er sah genauer hin, das Dunkle war ganz sicher getrocknetes Blut. Vielleicht war es von dem Stück Fleisch gekommen, das er Grò gegeben hatte. Aber wieso hatte Maruzza ihn abgeschleckt? Hatte sie vielleicht Hunger? Ihn überkam die Lust, mit seiner Zunge dem Geschmack nachzuspüren, den Maruzzas Zunge hinterlassen hatte. Da schleckte auch er den Stein ab, empfand aber nichts.
Während er die Krüge aus dem Weinfass füllte, fing Grò wieder an zu bellen und gefährlich zu knurren. Doch nach einem verzweifelten Aufjaulen war er plötzlich still. Kurz darauf kam Donna Pina ins Haus.
«Minica hat den Hund umgebracht», sagte sie.
«Aber warum denn das?»
«Weil er sie angegriffen hat. Er wollte ihr an die Gurgel gehen.»
«Und wie hat sie ihn umgebracht?»
«Mit der Hand. Sie hat ihn erdrosselt. Die hat eine
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