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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Seite des Olivenbaums aus betrachtete, war die Form des Hauses zwar die gleiche, allerdings änderten sich die Öffnungen. Im unteren Zimmer befand sich die Einganstür, jedes der drei oberen Zimmer hatte ein Fenster, während das darüberliegende mittlere Zimmer nichts hatte, lediglich eine glatte Wand.
    Als Gnazio sein Haus betrachtete, gelangte er zu der Überzeugung, dass es – ausgenommen die Zimmer, in denen sie wohnten – eigentlich gar kein Haus war, sondern ein paar in einer Reihe ausgerichtete Räume.
    Abhilfe schaffte er, indem er den Raum für die Fässer und den Viehstall mit einer dreißig Zentimeter dicken und drei Meter hohen Mauer verband, und er flieste sie vollständig mit gelben Kacheln sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite; danach verband er den Stall und die Außenmauer des Wohnhauses mit einer Mauer von der gleichen Dicke und einer Höhe von drei Metern, die einen Halbkreis bildete und in der Mitte die Zisterne einbezog. Diese Mauer flieste er ebenfalls, und zwar sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite mit grünen Kacheln.
    Das Gleiche tat er auf der anderen Seite.
    Danach malte er alle Räumlichkeiten weiß an. Am Ende war das Haus von der schreienden Farbigkeit einer Landesfahne.
    In einem der neuen Zimmer stellten sie Colas Bett auf und in dem anderen das Bettchen von Resina.
    Diese Resina war in den ersten drei Jahren nicht in der Lage, aufrecht zu stehen; es war, als wären ihre Beinchen gelähmt. Statt zu laufen, rutschte sie und half sich dabei mit den Ärmchen. Und wenn sie in dieser Haltung war, fielen ihr die Haare über die Augen und streiften über den Fußboden.
    Gnazio fing an, sich Sorgen zu machen.
    «Was meinst du, Marù, sollten wir die Kleine nicht zum Arzt bringen?»
    «Wieso denn Arzt?! Das wächst sich aus.»
    Und es wuchs sich wirklich aus. Nur als sie angefangen hatte zu sprechen, nannte sie sie nicht nach sizilianischer Art
«patre»
und
«matre»
, sondern
«pater»
und
«mater»
.
    «Die Kleine hat einen Sprachfehler.»
    «Der wächst sich aus», sagte Maruzza wieder.
    Doch einige Zeit zuvor, als Maruzza mit ihr auf dem Arm einmal auf den Balkon gegangen war, um das Meer zu betrachten, hatte die Kleine gesagt:
    «Θάλασσα! Θάλασσα!»
    Gnazio, der ihre Worte mitbekommen hatte, dachte, dass sie mit ihrem kleinen Sprachfehler vielleicht hätte sagen wollen, dass das Meer
«salato assà»
wäre, «ziemlich salzig».
    Neunzehnhundertfünf wurde der zweite Sohn geboren, dem sie den Namen Calorio gaben, wie der heilige Schutzpatron ihres Ortes.
    Neunzehnhundertsieben wurde die zweite Tochter geboren, und sie nannten sie Ciccina, wie Gnazios Mutter.
    Diesmal aber brachte Maruzza Ciccina nicht im Meerwasser zur Welt, sondern in ihrem Bett, wie alle Frauen dieser Welt, und dabei stand ihr abermals Donna Pina zur Seite.
    Doch anders als alle Frauen dieser Welt ließ sich Maruzza bei jedem Jahreszeitenwechsel in die Zisterne hinabgleiten.
    In Colas Zimmer wurde ein Bettchen für Calorio aufgestellt, und ein weiteres für Ciccina stellten sie in Resinas Zimmer auf.
    Cola war inzwischen über sieben Jahre alt, und seit einiger Zeit wurde er, nachdem er sich abends halbtot hingelegt hatte, nach drei Stunden Schlaf wieder wach, stand auf, schlich leise aus seinem Zimmer durch das Zimmer seiner schlafenden Eltern, stieg die Treppe hinunter, öffnete die Tür des unteren Zimmers und trat ins Freie.
    Eines Nachts war Gnazio zufällig wach und merkte, wie Cola vorbeiging. Er dachte, Cola müsste dringend pinkeln gehen, und wartete, dass er wieder zurückkam und in sein Zimmer ging. Doch gut eine Viertelstunde später war sein Sohn immer noch nicht zurück.
    Nun wurde er neugierig. Was konnte der Junge zu dieser Stunde in der Nacht schon machen? Wo ging er hin?
    Da entschloss er sich, ebenfalls hinauszugehen. Zuerst sah er ihn nicht. Dann merkte er, dass Cola die Treppe an der Zisterne neben dem Raum für die Fässer hinaufgestiegen war und auf dem Rand saß. Sein Kopf war weit nach hinten gelegt, und er betrachtete den Himmel. Er bewegte sich nicht. Auch Gnazio legte den Kopf nach hinten, aber es gab nichts Besonderes zu sehen, nur den Mond und die Sterne, es war alles wie immer.
    «Cola, was machst du da?»
    Diese unerwartete Stimme erschreckte Cola so sehr, dass er beinahe in die leere Zisterne gefallen wäre.
    «Nichts,
patre
. Ich betrachte die Sterne.»
    «Aber warum?»
    «Weil sie mir gefallen.»
    Auch Gnazio hatte der gestirnte Himmel gelegentlich

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