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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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vom Boden die Blätter auf und zwei tote Eidechsen und goss den Eimer aus. Dann ging er zur ersten Zisterne und tat das Gleiche. Blätter lagen darin und drei tote Skorpione. Doch gerade als er den Eimer Wasser auf den Grund ausschütten wollte, bemerkte er, dass aus dem Loch, das zur Entleerung der Zisterne diente, etwas Weißes hervorschaute. Er bückte sich und hob es auf. Es war ein großer Knochen, noch verhältnismäßig frisch und völlig abgenagt. Ratten mussten ihn da hineingeschafft haben. Er betrachtete ihn eine ganze Weile und versuchte zu verstehen, welchem Tier er wohl angehören mochte. Er kam zu keinem Schluss und warf ihn weg.

[zur Inhaltsübersicht]
Vier Geburten, ein Tod und das wachsende Haus
     
     
     
     
     
    Nach acht Monaten sah Maruzzas Bauch aus wie eine Pauke. Wenn sie sich abends hinlegten, presste Gnazio sein Ohr auf ihn und hörte, wie sein Kind sich bewegte und Tritte austeilte wie ein Fohlen.
    «Weil’s ja nun ein Junge ist, welchen Namen willst du ihm da geben?», fragte Maruzza ihn eine Woche vor der Niederkunft.
    «Geben wir ihm doch den Namen deines Vaters!»
    «Nein. Eigentlich müssten wir ihm den Namen deines Vaters geben. Wie hieß er?»
    «Cola. Aber …»
    «Kein Aber. Er wird Cola heißen.»
    Die Fruchtblase platzte bei Maruzza, als Donna Pina glücklicherweise gerade bei ihr war.
    Irgendwann hatte Maruzza angefangen, zu wimmern und zu stöhnen, und Gnazio, der das nicht aushielt, war hinaus auf die Straße gerannt und so weit weggelaufen, wie er nur konnte. Dann setzte er sich auf einen Stein und blieb dort, bis Donna Pina ihn strahlend und glücklich herbeirief.
    «Gnazio! Wo seid Ihr? Kommt her, Euer Sohn will Euch sehen!»
    Cola Manisco wurde bei Tagesanbruch des ersten Tages des ersten Monats des Jahres neunzehnhundert geboren.
    «Ich bin wieder schwanger», sagte Maruzza eines Abends, als sie zu Bett gingen.
    Da waren drei Jahre seit Colas Geburt vergangen.
    Der war inzwischen zu einem Jungen geworden, der einen Streich ausheckte und hundert neue ersann.
    Er war so groß, dass man meinen konnte, er wäre sieben; er war stark, dickköpfig und entschlossen; er ging ins Gehege zu den Hühnern, nahm die Eier, von denen er gleich eins ausschlürfte, und versteckte die anderen in den Zweigen des Olivenbaums, auf den er kletterte wie ein Affe, und warf sie denen an den Kopf, die zufällig vorbeikamen. Er konnte so genau zielen, dass nicht ein Ei danebenging. Er machte sich auch einen Spaß daraus, sich zur Dämmerstunde in der Nähe der Straße aufzustellen und, kaum dass jemand zu Fuß oder zu Pferd näher kam, zu heulen wie ein Wolf. Wo hatte er das nur gehört? Wo hatte er das gelernt? Tatsache ist, dass die Näherkommenden, ob Mann oder Frau, wenn sie zu Fuß waren, bei dem Heulen schreiend davonliefen. Und wenn sie zu Pferd kamen, scheute das Tier derart, dass es seinen Reiter oftmals abwarf.
    Das Einzige, was ihm Angst machte, war das Meer.
    «Wenn du weiterhin ungezogen bist», drohte Maruzza ihm, «nehme ich dich mit zum Strand und werfe dich ins Meer!»
    «Nein, nein, nicht ins Meer!»
    Ein Ebenbild seines Vaters.
    «Hoffen wir, dass es diesmal ein Mädchen wird!», fuhr Maruzza fort.
    Am selben Abend führte Donna Pina den Zauber mit der Schüssel wieder aus und bestätigte dann:
    «Es ist ein Mädchen.»
    Am nächsten Tag kam, wie konnte es anders sein, Urgroßmutter Minica ins Haus.
    Sie war jetzt, wenn man richtig zählte, einhundertdrei Jahre alt. Doch sie wirkte, als wäre sie zwanzig Jahre jünger.
    Wie war das nur möglich? Ganz sicher hatte sie einen Pakt mit den Teufeln geschlossen.
    Sie tauchte glücklich und zufrieden auf, umarmte und küsste Gnazio, während sie ihn mit der Hand untenherum abtastete:
    «Damit kannst du noch zehn weitere Kinder zeugen», flüsterte sie ihm mit ihrer warmen Bettgespielinnenstimme ins Ohr.
    Dann nahm sie Maruzza mit nach oben ins Schlafzimmer. Dieses Mal aber hatte Gnazio nicht den Mut, ihnen nachzugehen und zu schauen, was Minica mit seiner Frau machte. Danach hörte er sie beide auf dem Balkon singen.
    «O Meer», klangen die Worte, «wir bringen dir diese schöne, feierliche Nachricht: Eine neue Tochter wird dir geboren!»
    Gnazio wurde ungehalten. Wieso sagten sie, der Vater seiner Tochter wäre das Meer? Was hatte das Meer denn damit zu tun?
    Er hatte keine Lust mehr, überhaupt noch irgendetwas zu hören. Mit den Händen hielt er sich die Ohren zu und setzte sich unter den Olivenbaum.
    «Welchen Namen geben wir

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