Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Flugzeugmotoren ein. Sie hat Glück und sitzt zusammen mit Käthe Esmajor in einem Zimmer. »Die Sekretärin aus Antwerpen ist nicht mit, sie blieb in Antwerpen. Die ist auch nicht in Verviers gewesen, die war verheiratet. Die eine Deutsche war sehr freundlich, aber da saß noch eine dabei, richtig von Neusalz, das war Conny. Wir durften nicht lachen, wir durften nicht laut sprechen.« Renée lacht, alssie mir das erzählt, »aber wir haben nicht darauf gehört. Mit Käthe war das nicht möglich. Wir haben oft gelacht. Ich saß mit dem Rücken zu dem Glasfenster zwischen den Büros und da hieß es dann immer: ›och, der Conny kommt wieder.‹ Die war am tüchtigsten bei der Arbeit, sie war sehr tüchtig.«
Eine eigene Kantine baut Daimler nicht wieder auf. Jene im Textilwerk Gruschwitz wird auch die für die belgischen Arbeitskräfte. »Frühstück war zuhause. Dafür bekamen wir einige Brotmarken und Fleischmarken. Bei Gruschwitz Werke im ersten Stock mussten wir essen, Mittag und Abend. Dinner und Lunch im Textilwerk, das war jetzt eine Panzerreparatur. Und da haben wir zum ersten Mal den Tiger gesehen – den Panzer, den ganz großen, und die waren groß! Wir mussten eine kleine Treppe zum ersten Stock, upstairs war die Messe und da bekamen wir dann Essen.«
Unter dem massiven Druck der alliierten Luftoffensive ergriff die deutsche Wirtschaftsführung Maßnahmen zur Sicherung der Rüstungsproduktion. Ab 1943 wurden neuralgische Industriezweige in Gebiete verlegt, die nicht durch Bombardierung gefährdet waren. Es wurde zum einen ein unterirdisches Netz von Fabriken aufgebaut und zum anderen wurde die Produktion dezentralisiert. Mehrere Tausend kleine Betriebe in Mittelosteuropa wurden in riesigem Maßstab für die Produktion von Kriegsmaterial umbeziehungsweise ausgebaut. Auch in zahlreichen kleineren deutschen Städten dienten in den letzten Kriegsmonaten bisher zivile Industrieanlagen der Rüstungsproduktion. Heute finden sich in den Selbstdarstellungen der Kommunen häufig keinerlei Hinweise darauf. Die zwölf Jahre des Tausendjährigen Reiches sind noch immer ein stark vermintes Terrain.
In Neusalz waren binnen kurzer Zeit aus den zivilen großen und kleinen Industriebetrieben Rüstungsfirmen geworden. Die Kriegsgeschichte der Stadt und die Entwicklung der Betriebe erforschte vor allem der Leiter des örtlichen Museums Miejskiego, Tomasz Andrzejewski. Er zählte für das Jahr 1939 in Neusalz 26 metallverarbeitende Fabriken, drei Eisen- und Stahlgießereien, vier Maschinenbaubetriebe, 15 elektrotechnische und feinmechanische Betriebe, drei chemische, 13 Papier verarbeitende und grafische Betriebe, neun Leder und Gummi verarbeitende Anlagen sowie 53 Werke derBauwirtschaft, Tischlereien und Möbelfirmen. So gut wie alle wurden schließlich direkt oder indirekt zur Kriegsproduktion herangezogen. Die Baubetriebe stellten die Baracken für die Lager her, die Möbelfirmen Bänke und Tische und die Hautleim-Fabrik der Gebrüder Garve produzierte nun unter anderem Gelatine, die für die Herstellung von sortenreichen Klebern für die Luftwaffenindustrie bestimmt waren.
Gruschwitz-Textilwerke. Frühe Ansicht, etwa 1918.
Die größten Zulieferer des Militärs waren die beiden großen Hütten, das Krausewerk und die Paulinenhütte. Die an die Front einberufenen Mitarbeiter waren durch Arbeiter aus den besetzten Ländern ersetzt worden, und innerhalb kurzer Zeit wurden anstelle von Artikeln für den privaten Hausgebrauch Artilleriemunition und Handgranaten, Sockel für Mörser und Kanonenläufe hergestellt, Kettenglieder für Panzerraupen gegossen, Elemente von Fliegerbomben und gepanzerte Platten für Panzer und U-Boote gebaut.
In der Endphase des Krieges wurden im »Krausewerk«, unter strikter Geheimhaltung, Teile des Rumpfes der Fliegerbombe V-1 gegossen. Möglicherweise gelangten die fertigen Bomben direkt inden Einsatz nach Antwerpen. Davon, dass von Herbst 1944 bis in den Februar 1945 Antwerpen massiv mit Flugbomben und Raketen beschossen wurde, wusste Ady zu diesem Zeitpunkt noch nichts.
In der Mehrzahl hatten die Firmen und Fabriken Anfang des Krieges jeweils weniger als fünfzig Personen beschäftigt. Mit fortschreitendem Kriegsverlauf und zunehmender Nachfrage stieg die Zahl. Ab 1944 waren in den Betrieben rund 3500 Personen ständig beschäftigt. Dazu kamen Zwangsarbeiter – 1500 wurden offiziell als bezahlte Arbeitskräfte registriert; zu ihnen zählten Ady und Renée –, zahllose Kriegsgefangene und
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