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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Seidert
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zu begeben und waren unter Umständen ihr Leben lang geplagt. Bereits als Kind war Adys Gesundheit labil und das ist bis ins Alter so geblieben. Rückblickend können wir nur hoffen, dass sie während ihres Aufenthaltes in Neusalz nicht ernsthaft erkrankte.
    Renées Krankenversicherungsnachweis. Demnach verdiente sie zwischen dem 4. September 1944 und dem 30. April 1945 ganze 1129,47 Reichsmark, pro Monat also 141,18 RM. Zum Vergleich: eine russische Kranführerin verdiente 1944 etwa 120.- RM im Monat, ein deutscher Maschinenarbeiter mit Akkordarbeit etwa 270.- RM.
    Über Sozialversicherungsansprüche, Lohnzahlungen oder Lohn in Naturalien der Westarbeiter ließe sich ein eigenes Buch schreiben, schon wegen der vielen Änderungen während der Kriegsjahre. Generell lässt sich sagen, dass Fremdarbeiter, mit Ausnahme der Polen und »Ostarbeiter«, im Prinzip den vollen deutschen Lohn für die gleiche Arbeit erhielten. Doch wurden die meisten auf die verschiedensten Weisen um einen nicht unbeträchtlichen Teil ihresLohns gebracht, wenn sie ihr Angespartes nach Hause überwiesen. Aufgrund der Besatzungspolitik der Deutschen herrschte in den meisten besetzten Gebieten eine hohe Inflation. Eigentlich hätte das zu einer Aufwertung der Reichsmark gegenüber diesen Währungen führen müssen, doch die Reichsbank hielt den Kurs künstlich niedrig. So bezahlte nicht nur der belgische Staat seine Staatsbürger, die im Reich Zwangsarbeit leisteten, in belgischen Franc, sondern wegen der herrschenden Inflation war die Kaufkraft niedriger als im Reich, was für die Angehörigen zuhause eine starke Entwertung des Überwiesenen bedeutete.
    Aufgrund des Kriegsverlaufs wurde der Zahlungsverkehr mit Belgien und damit die Lohnüberweisungen ins nun feindliche Nachbarland offiziell am 27. September 1944 eingestellt. Auch Renée und Ady konnten ihren Lohn, den sie in Neusalz erhielten, nicht an die Mütter in Antwerpen überweisen.
    Firmen wie Daimler-Benz machten mit den Fremdarbeitern einen guten Schnitt. Zwar brachten polnische und sowjetische Arbeiter deutlich mehr Gewinn als etwa Arbeiter aus Flandern, denn »Ostarbeiter« wurden im Schnitt 15 bis vierzig Prozent schlechter bezahlt als Deutsche. Doch bei der konkreten Ausgestaltung, etwa bei der Einstufung der belgischen Arbeiter in Lohngruppen und der Verteilung von Sonderprämien, hatten die deutschen Firmen durchaus Spielraum. Wir wissen nicht, ob Renée und Ady ihren deutschen Kolleginnen absolut gleichgestellt waren. Renée hat etwa mit Käthe Esmajor vielleicht einmal darüber gesprochen und Vergleiche angestellt, erinnert sich jedoch nicht mehr daran.
    Trotz der Einstellung der Lohnüberweisungen ab September 1944 sollten die Arbeiter aus Belgien ihre Lohnersparnisse weiter auf die Arbeitersonderkonten einzahlen und sie nicht etwa bar im Wäscheschrank für später verwahren. Die offizielle Begründung lautete, der Bargeldumlauf solle so gering wie möglich gehalten werden, um dem Schwarzmarkt Geld zu entziehen.
    Durch den Zwangsarbeitereinsatz schuf sich das Deutsche Reich einen finanziellen Nutzen von mindestens 13 Milliarden Reichsmark, was heute rund 130 Milliarden Euro entspräche. Das ist mehr als ein Sechstel dessen, was die Bundesrepublik im Jahr 2013 an Steuereinnahmen erwartet.

Was heißt hier freiwillig?
    Zeitzeugen-Erinnerungen sind nicht unbedingt eine eindeutige Quelle. Sie ersetzen keine Dokumente und sind, gerade nach so langer Zeit unter Umständen von Erinnerungslücken und -verfälschungen getrübt. Erinnerungen können dazu beitragen, tatsächliche Verhältnisse zu erhellen, aber auch, sie zu verharmlosen und Zusammenhänge unaufgeklärt zu lassen, etwa die Hintergründe der nationalsozialistischen Zwangsarbeiterrealität zu überdecken. Renées Gedächtnis mag über die Jahre manches in milderem Licht erscheinen lassen, als es damals war und sie es erlebt und wahrgenommen hat. In ihrem speziellen Fall müssen wir berücksich- tigen, dass sie die damals so dringend benötigte Gabe besaß, sich schnell in neuen Situationen zurechtzufinden und aus allem immer das Beste zu machen. Das gibt ihren Erinnerungen einen leichten Ton. Doch es machte die Situation an sich nicht besser. Vermutlich blieben ihr damals die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe ihres Zwangsarbeiter-Daseins verborgen. Daher bedarf es zumindest eines kurzen Blicks auf die Fakten, um Renées Erinnerungen und Adys Erfahrungen einordnen zu können.
    Daimler-Benz hatte ab 1941 fast

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