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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Seidert
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unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Mehrzahl der Arbeitssklaven der Nazis zu leiden hatte, war die Situation für Renée und Ady in Neusalz relativ angenehm.
    Aber waren sie freiwillig in Neusalz, waren sie ausländische Arbeitnehmerinnen aus freien Stücken oder Zwangsarbeiter? Nicht zu leugnen ist, sie waren an einem Ort, den sie sich vermutlich selbst nie ausgesucht hätten, unter Umständen, die sie so ebenfalls nicht für sich gewünscht hätten. Sie waren weit weg von zuhause, fremd im Land. Neusalz war als Rüstungsschmiede voller Menschen, das war einerseits von Vorteil: Die Frauen konnten in der Masse verschwinden. Andererseits war die Stadt klein und hatte überall Augen und Ohren.
    Wo hört Freiwilligkeit auf, wo fängt Zwang an? Renée betonte mehrfach, sie habe freiwillig in diese Reise eingewilligt. Das mag sein – aber, und das ist das Entscheidende: Sie hatte letztlich gar keine Wahl, jede Alternative wäre vermutlich schlechter gewesen.
    Adys Verpflichtungsbescheid über ihre Versetzung als Hilfsarbeiterin. »Sie haben sich am 1. Nov. um 6 Uhr … bei dem Goetzewerk zur Arbeitsaufnahme zu melden.«
    Der Begriff des »Zwangsarbeiters« ist in diesem Zusammenhang oft missverständlich gebraucht worden. Zu Beginn des Krieges kamen etwas mehr als eine Million Menschen tatsächlich freiwillig zur Arbeit nach Deutschland, auch aus Belgien. Die Situation am Arbeitsmarkt war nach der Wirtschaftskrise in vielen Ländern sehr angespannt und man hoffte auf Arbeit im Reich. Die Weichen, die Ausländerarbeit als Zwangsarbeit zu organisieren, wurden gleich zu Beginn des Krieges gestellt. Die Grenze zwischen Freiwilligkeit und Zwang war fließend. Renées Vater ist dafür ein gutes Beispiel: Er ging freiwillig nach Deutschland, weil er in Belgien keine Arbeit fand, doch wo er in Deutschland eingesetzt wurde, wie er leben musste, dass er keinen Urlaub bekam, nicht einfach Post von zuhause erhalten durfte, die etwa seinen Wintermantel enthielt, all das bestimmten die Deutschen.
    Und bereits der Entschluss vieler vermeintlich Freiwilliger wurde beeinflusst: Die ökonomischen Weichen, die Entwicklung der Wirtschaft wie die Kraft des Arbeitsmarktes, die Lohngestaltung, all dies bestimmten und beeinflussten in den besetzten Ländern die Sieger, das nationalsozialistische Deutschland.
    Spätestens als Renée und Ady in der Werbestelle in Antwerpen beziehungsweise bei Daimler in Verviers ihren Vertrag unterschrieben, waren sie nicht mehr Herrin ihres eigenen Willens.

In der Munitionsfabrik
    Ende Oktober bekommt Ady die Willkür der Deutschen zu spüren. Ihr Leben im Büro bei Daimler ist vorbei, sie soll als Hilfsarbeiterin im Goetzewerk arbeiten. Am 1. November soll sie sich um 6:00 Uhr früh in dem Werk in der Freystädter Straße melden. Alle wissen, dort wird Munition produziert.
    Alles Vertraute, die bekannten Gesichter, die Freundinnen bleiben zurück. Anstatt im Büro zu sitzen, muss Ady nun Munition zusammenbauen. Renée gegenüber klagt sie über ihre Angst. »Adysagte, ›ich habe die ersten Tage geweint, weil ich die Munition mitmachen musste.‹ Und sie sagte, ›die ist vielleicht für unsere Soldaten zu schießen!‹«
    Sie alle machen sich Sorgen, sie sind nun seit mehr als einem Vierteljahr von zuhause weg. Wie ist es in Antwerpen, wie geht es wohl den Eltern, der Familie? Renée erinnert sich, dass sie etwa zu der Zeit erfuhren, dass die Deutschen Antwerpen mit V1 und V2 bombardierten. Antwerpen und der Hafen standen, seit die Alliierten Anfang September 44 die Stadt eingenommen hatten, unter Dauerbeschuss der Flugbomben und Raketen. Die Frauen hören davon, sind hochgradig beunruhigt. Das wahre Ausmaß der Bombardierung können sie sich nicht vorstellen – glücklicherweise. Anfang November 44 bezeichnen die Alliierten zudem die Versorgungslage in den befreiten Ländern Niederlande, Frankreich und Belgien als katastrophal. Auch davon erfahren die Frauen in Neusalz nichts.
    »Ady musste dann im Büro der Munitionsfabrik arbeiten, where all the Kriegsgefangene waren, Franzosen, da sie fließend französisch sprach. Sie musste zwischen den Kriegsgefangenen und den Wachleuten und Vorgesetzten übersetzen.« Warum ausgerechnet Ady ins Goetzewerk verpflichtet wurde, darüber spekulierte auch Renée. Sie vermutet Adys Sprachkenntnisse als Auslöser für diese »anderweitige Verwendung«, wie es damals hieß.
    Nun kann Ady den morgendlichen Weg zusammen mit Jupp zurücklegen, »das war mehr außerhalb,

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