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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Seidert
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da ging sie mit Jupp die gleiche Strecke.« Auf meine Frage, ob Jupp dort ebenfalls beschäftigt war, sagte Renée: »Darüber durften die nicht richtig sprechen. Ich war jung damals, ne, ich hab da, glaube ich, nicht nachgefragt.«
    Das Goetzewerk, in dem Ady als Hilfsarbeiterin eingesetzt ist, ist im Stadtplan von 1939 noch nicht verzeichnet. Tomasz Andrzejewski verortet das Goetzewerk auf dem Gelände der Paulinenhütte, der Neuen Hütte, in der Freystädter Straße. Während meiner Recherchen stieß ich auf ein Goetzewerk in Burscheid im Bergischen Land. Dort und in Dresden hatten sich Ende des 19. Jahrhunderts Eisengießereien gegründet, die später fusionierten und 1939 unter dem Namen Goetzewerke AG als der bedeutendste Hersteller von Gleitlagern in Deutschland galten. Gleitlager, so etwas wie Kugellager ohne Kugeln, sind »anwendbar zur Steuerung der Flügel einer Granate mit Zielführung«, wie es in einer entsprechenden Patentanmeldung heißt. Ein andermal erwähnte Renée, dass sie sich erinnere, Ady sei in die Munitionsfabrik versetzt worden, weil sie und Jupp zusammen waren und es nicht gut angesehen war, wenn zwei aus einem Haushalt im gleichen Betrieb arbeiteten. Vermutlich traf das nicht zu, aber dass es manchem aufgestoßen sein mag, dass der Deutsche Josef Kocyan mit der hübschen belgischen Arbeiterin zusammenlebte, das mag gut sein.
    Zitat aus dem Merkblatt der Geheimen Staatspolizei über die Behandlung der im Reichsgebiet eingesetzten fremdvölkischen Arbeitskräfte aufgrund der bis zum 31. 12. 1942 ergangenen Erlasse des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei, Staatspolizeileitstelle Hannover: »Aus den Einzelbestimmungen für: Angehörige germanischer Völker (Dänen, Flamen, Holländer, Norweger). Richtungsweisend für den Einsatz dieser Arbeitskräfte ist der Gesichtspunkt, dass sie als Angehörige germanischer Völker für den Gedanken der Zusammengehörigkeit aller Völker germanischen Blutes gewonnen werden sollen. In der Art des Umgangs, der gewinnenden Belehrung bei leichten Verfehlungen, der überzeugenden Darlegung ihres Unrechts muss den oft noch fremden Einflüssen unterliegenden Angehörigen germanischer Völker der Weg zum Reich geebnet werden … Bei Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin ist zunächst mit Ermahnungen und Warnungen vorzugehen. In besonders schweren Fällen werden staatspolizeiliche Maßnahmen ergriffen. Der Geschlechtsverkehr mit Deutschen ist nicht verboten, jedoch unerwünscht. Verstöße hiergegen sind der Ortspolizeibehörde und dem Ortsgruppenleiter der NSDAP sofort zu melden.«
    Die Gesetze und Verordnungen galten so lange, wie es allen Beteiligten opportun erschien. Selbst bei Prozessen war den Gerichten ein großer Ermessensspielraum eingeräumt, der gern auch mal das »gesunde Volksempfinden« als Maßstab nahm.
    Junge Frauen lebten zu der damaligen Zeit entweder im Elternhaus oder zusammen mit ihrem Ehemann. Zwangsarbeiterinnen, die wie Renée und Ady allein im Ausland waren, fielen aus diesem Muster und standen schnell im Ruf, »zweifelhafte Personen« zu sein. Sie unterlagen einer doppelten Diskriminierung, die je nach Herkunftsland mehr oder weniger rassistisch, doch immer sexistischer Natur war.
    Der Dienststellenleiter Ewald stellt Ady nach dem 31. Oktober 1944 ein Zeugnis aus. Als Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird eine von der Geschäftsleitung veranlasste Betriebsumstellung angegeben.
    Ady war Nachstellungen von Männern weniger stark ausgesetzt,als wenn sie in einem Barackenlager gelebt hätte, ohne jeglichen männlichen Schutz. Doch was sie einerseits schützte, zog andererseits vermutlich Neidgefühle und Eifersucht auf sie. »She was a very nice person!«, sagte Renée mehr als einmal über Ady. »Sie war sehr schmal. Jupp war groß.« Jupp war der Boss, war bemüht, Ady so gut als möglich zu beschützen. Aber wie weit reichte sein Einfluss? Früher war die schöne Belgierin nur einfach eine Besiegte, seit aber Belgien auf Seiten der Alliierten kämpfte, war sie Angehörige eines feindlichen Landes und galt manchem als Freiwild.
    Jupp (3. v. li.) mit Kollegen beim Bad in der Oder
    Die Behandlung der ausländischen Arbeiter unterlag im Alltag neben vorauseilender Parteibuchtreue den Gewinn- oder Karrierechancen der Einzelnen, vor allem tradierte Einstellungen gegenüber Ausländern wie Überlegenheitsgefühle, Ressentiments und Rassedenken und nicht zuletzt gut eingeübtes Hierarchiedenken beeinflussten das

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