Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Arbeitsplatz mit der »Durchführung der Reichsverteidigungsaufgabe der Kriegswirtschaft, Verkehr oder Verwaltung« zu tun hatte, wie es im Wehrgesetz 1935 bis 1945 hieß, und wenn die betreffende Person Fachkraft war. War Jupp also unabkömmlich?
Die erste Bedingung erfüllte der Front-Reparaturbetrieb (FRB) gewiss. Zudem waren die FRB organisatorisch und rechtlich dem Reichsluftfahrtministerium unterstellt. Die Angehörigen der FRB unterstanden der Luftwaffe – sie war für die Bezahlung zuständig sowie für die Unterbringung und die Verpflegung. Die Leitung und sowohl die kaufmännischen als auch die technischen Belange und die Personalangelegenheiten oblagen im FRB dagegen der Stammfirma, in diesem Fall Daimler-Benz. Jupp war ab August 42 der Fliegerhorstkommandantur Antwerpen-Deurne unterstellt worden, diente also als Lkw-Fahrer, möglicherweise auch als Meldefahrer auf dem Fliegerhorst, und erhielt seinen Sold von der Luftwaffe. Daswird auch in Neusalz kaum anders gewesen sein. Dienstherr war die Luftwaffe, Jupp war Daimler-Benz beigeordnet und die Firma sorgte für die Betreuung vor Ort.
Adys Brief als Kriegsgefangener Edouard Mertens an Monsieur et Madame Van den Eynde, Zonnevijzer Straat 2, Antwerpen.
Das erste Mal tauchte Jupp in Adys Fotoalben und vermutlich in ihrem Leben im Sommer 1942 auf. Jupp war also noch ganz neu in Antwerpen, als er zusammen mit Ady und Freunden oder Arbeitskollegen das Picknick auf dem Damm in Mechelen unternahm. Auf den Fotos dieser kleinen Serie blicken alle Personen in die Kamera: vergnügt, entspannt, doch Jupp sitzt im Profil. Dieses Abgewandte auf Fotos zeigte er während der Kriegsjahre immer wieder. Entweder drehte er sein Gesicht zur Seite oder er zeigte so etwas wie eine innere Abgewandtheit. Alle lächeln, er bleibt unbewegt, alle scheinen gelöst, Jupp ist angespannt. Oft wirkt er in diesen Jahren, als wolle er am liebsten nicht fotografiert werden.
Wieder müssen Bilder Auskunft geben, wo andere Quellen fehlen. Welche Aussagekraft haben die Fotos, die Jupp im Kreis der Männer bei Daimler zeigen? Mag sein, dass ich etwas sehen wollte, was nicht da war, aber mir fiel auf, dass Jupp auf diesen Bildern anscheinend am liebsten unsichtbar gewesen wäre. Möglicherweise mag er sich beim Fotografieren generell unwohl gefühlt haben, dagegen sprechen jedoch die Fotos, die Ady und er nach dem Krieg von sich gegenseitig schossen – wie gelöst wirkt Jupp auf diesen Bildern! Vielleicht wollte er in den Kriegsjahren und bei den geselligen Ereignissen bei Daimler-Benz in Mortsel und Neusalz am liebsten gar nicht dabei sein.
Ein Brief unter falschem Namen
Einige Zeit arbeitet Ady in der Munitionsfabrik, dann wird sie aus der Produktion ins Büro geholt. Sie soll übersetzen, als Dolmetscherin zwischen den Vorarbeitern und der Verwaltung und den französischen Arbeitern, darunter viele Kriegsgefangene, vermitteln.
In Neusalz gab es mehrere Kriegsgefangenenlager. Ein erstes Übergangslager war gleich im November 1939 eingerichtet worden, dort waren polnische Soldaten aus dem September-Feldzug inhaftiert. Das Lager lag wahrscheinlich an der Freystädter Straße, der heutigen Straße der polnischen Armee und damit in der Nähe des Goetzewerkes, vermutet der Leiter des örtlichen Museums. Den polnischen Soldaten wurden jedoch Mitte 1940 ihre Rechte als Kriegsgefangene entzogen und sie wurden zur Arbeit in schlesische Betriebe abtransportiert. Ihr Schicksal als nun rechtlose »Ostarbeiter« kann man sich ausmalen.
Im Goetzewerk sind französische Gefangene als Arbeitskräfte eingesetzt. Durch ihre neue Aufgabe kann sich Ady freier bewegen und erlaubtermaßen mit den Kriegsgefangenen sprechen. Unter ihnen ist einer besonders sympathisch, Ady hat ab und zu mit ihm zu tun, dann dehnen sie das Gespräch in die Länge. Sie sind beide weit entfernt von zuhause, der Winter ist bereits zu spüren, Weihnachten steht vor der Tür. Ady klagt ihm ihre Sorgen, dass sie nichts von ihren Eltern hört, dass sie nicht weiß, wie es um sie steht, erst kürzlich hätten sie im Kino in der Wochenschau gesagt, dass der Hafen von Antwerpen noch immer umkämpft ist und die Deutschen die Stadt mit ihrer »Wunderwaffe« bombardierten.
Man muss sich fragen, was alles hätte passieren müssen, bis sich diese zarte Person zur Wehr gesetzt hätte – und wie dieser Widerstand dann ausgefallen wäre. Eine reale Möglichkeit dazu hatte Ady allerdings ohnehin nicht. Sie war in diesen Krieg hineingeworfen
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