Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Papier.
„Und wem soll ich das geben?“, fragt sie.
Wieder denke ich angestrengt nach, und dann endlich fällt mir der Name ein, von dem Simon gesprochen hat. „Frag nach einem Mann namens George Lindt. Wende dich nur an ihn. Sag ihm, die Nachricht ist von mir, sie ist streng vertraulich und äußerst dringend. Sie muss an Simon Gold im Außenministerium telegrafiert werden.“
„Ist dieser Lindt vertrauenswürdig?“
„Das weiß ich nicht“, gebe ich zu. „Aber Simon hat mir seinen Namen genannt, also nehme ich an, dass er kein Verräter ist. Außerdem bleibt mir keine andere Wahl, irgendwie muss die Nachricht nach London gelangen. Warte bis zum Morgen, bevor du zur Botschaft gehst. Falls etwas schiefgeht, habe ich genug Vorsprung herausgeholt. Wirst du es schaffen, noch einmal das Haus zu verlassen, auch wenn die Polizei dich beobachtet?“
„Das werde ich schon“, erwidert Emma. „Wenn ich mit den Kindern einen Spaziergang mache, werden sie das nicht verdächtig finden.“
„Gut. Ich möchte nämlich nicht, dass du dich noch weiter in Gefahr begibst. Wir sollten uns jetzt auf den Weg machen. Geh du vor, ich folge in ein paar Minuten, damit uns niemand zusammen sieht.“
„Warte, da ist noch eine Sache.“ Emma wendet sich ab, dann zieht sie sich kurzerhand ihr Kleid über den Kopf. „Nimm das hier“, sagt sie. „Deine Kleidung sieht zu westlich aus, damit fällst du nur auf.“
Ich sehe zwischen ihrem grauen Kleid aus grobem Stoff und meiner Bluse hin und her, und natürlich hat sie recht. Ich lege meine Sachen ab und ziehe das Kleid über, wobei mich Emmas vertrauter Mandelduft umgibt. Aus dem Schrank hole ich das grüne Kleid, das ich zum Wechseln mitgebracht habe. „Hier.“ Wortlos streift sie es sich über. „Es ist dir vielleicht ein bisschen zu kurz.“
„Es ist perfekt.“ An der Art, wie sie über die Ärmel streicht, erkenne ich, dass sie einen so feinen Stoff nicht gewohnt ist. Dann greift sie nach einem Schal, den sie zu einem Kopftuch faltet. „Du solltest auch noch die Haare zusammenbinden.“ Schweigend hilft sie mir, meine Haare zu bändigen.
„Geh jetzt besser nach Hause zu deinen Kindern“, sage ich.
Emma nickt, kommt aber noch einen Schritt auf mich zu. „Danke, Marta. Für alles, was du für mich getan hast.“
Ich küsse sie auf die Wange. „Nein, ich habe zu danken. Ich weiß, was du riskiert hast, um heute Nacht herzukommen. Und jetzt geh schon.“ Sie dreht sich um, verlässt das Zimmer und zieht die Tür hinter sich zu.
Berlin, denke ich, während ich etwas ratlos dastehe. Werde ich das schaffen? Soll ich es wirklich versuchen? Schluss jetzt mit den Zweifeln! Ich begebe mich zum Schrank und will meine Tasche packen, doch da kommen mir Renatas Worte in den Sinn. Es ist besser, die Sachen zurückzulassen, damit niemand so schnell darauf kommt, dass ich die Stadt verlassen habe. Außerdem kann ich ohne Gepäck leichter reisen. Ich hebe die Pistole auf und stecke sie in meine Handtasche zurück, dann überzeuge ich mich davon, dass ich alle Papiere bei mir habe. Nachdem ich den Mantel angezogen habe, sehe ich mich ein letztes Mal im Hotelzimmer um, dann ergreife ich ebenfalls die Flucht.
20. KAPITEL
Ich werfe einen Blick von der Tür der Damentoiletten über den verlassenen Bahnsteig. Die Bahnhofsuhr zeigt zehn vor sechs an. Fast zwei Stunden zuvor bin ich eingetroffen, nachdem ich zu Fuß die Stadt durchquert habe. Meine Hoffnung, trotz Ausgangssperre doch noch einen Nachtzug zu erwischen, wurde enttäuscht. Von einer Roma-Familie abgesehen, die auf dem Bahnsteig ihr Nachtlager aufgeschlagen hat, ist der gesamte Bahnhof verwaist. Der Vater, ein dunkelhäutiger Mann mit buschigem Schnäuzer, erklärte mir gleich bei meinem Eintreffen, dass bis zum Morgen kein Zug mehr fahren würde. Da ich keine unnötige Aufmerksamkeit erzeugen wollte, habe ich mich in die Toiletten zurückgezogen. Zuerst musste ich fast würgen, als mir der Gestank in dem beengten Raum entgegenschlug, aber dann gelang es mir, flach und nur durch den Mund zu atmen, bis ich den Geruch kaum noch wahrnahm.
Jetzt höre ich ein Geräusch vom anderen Ende der Halle. Ich drehe mich um und sehe, wie ein Mann eines der Geschäfte aufschließt, ein erstes Anzeichen dafür, dass der Bahnhof wieder zum Leben erwacht. Wenige Minuten später bemerke ich eine ältere Frau mit dicken Schuhen und Kopftuch, die den Bahnsteig fegt. Die ersten Reisenden finden sich ein.
Ich verlasse die Toiletten und atme
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