Die Frau des Diplomaten (German Edition)
mich aufmerksam zu machen. Jetzt, sage ich mir, als ich das Ende des Wagens erreiche und vor der Tür stehe. Jetzt musst du aussteigen.
Doch in diesem Moment ruckelt der Zug und setzt sich wieder in Bewegung. Mit Schrecken sehe ich, wie wir uns vom Bahnhof entfernen. Abermals blicke ich über die Schulter, während mir durch das offene Fenster der kalte Wind ins Gesicht bläst. Der Mann hat soeben den Speisewagen betreten, unsere Blicke begegnen sich. Ich mache einen Schritt nach vorn und schaue aus dem Fenster. Das schneebedeckte Feld zieht immer schneller an mir vorbei, je mehr der Zug Fahrt aufnimmt. Als der Mann durch den Wagen eilt, weiß ich, dass mir keine andere Wahl bleibt. Ich drücke meine Tasche an mich, öffne die Tür und … springe aus dem Zug.
Ich lande im tiefen Schnee, der meinen Sturz abfedert, und rolle ein paar Meter weiter über das Feld. Sekundenlang liege ich nur da, dann weiß ich, dass ich mich nicht verletzt habe. Zwar wurde mir die Luft aus den Lungen gepresst, aber das ist schon alles. Als ich mich aufrichte, sehe ich zu meinem Schrecken, dass noch jemand aus dem fahrenden Zug gesprungen ist. Es ist der Kahlköpfige, der die Verfolgung wieder aufnimmt! Ich rappele mich auf und laufe über das Feld zu einem dichten Nadelwald. Durch den Schnee komme ich aber nur mühsam voran. Dreh dich nicht um, ermahne ich mich, doch es hilft nichts. Der Mann folgt mir und holt stetig auf, da er größere Schritte macht als ich. Meine Lungen brennen, als ich auf den Waldrand zurenne. Noch fünfzehn Meter, zehn Meter. Ich muss schneller laufen. Ich erreiche den dunklen Wald und renne blindlings durch das Dickicht. Plötzlich trete ich in ein Loch, ein stechender Schmerz jagt durch meinen Knöchel, und ich schlage der Länge nach hin. Mit aller Kraft versuche ich mich aufzurichten, aber mein Bein gibt unter mir nach. Ich kann nicht weiterlaufen!
Voller Entsetzen sehe ich, wie der Kahlköpfige den Waldrand erreicht. Die Pistole! Ich greife in meine Tasche und hole sie heraus. Mit zitternden Fingern entsichere ich sie, während der Mann näher kommt. Ich mache mich darauf gefasst, auf ihn zu schießen. Nur noch ein paar Sekunden. Drei, zwei, eins … Ich drücke den Abzug, ein Schuss zerreißt die Stille, der Rückstoß drückt meine Arme hoch. Der Kahlköpfige bleibt keine zwei Meter von mir stehen und sieht mich ungläubig an.
Ich höre einen zweiten Schuss, und dann fällt mein Verfolger seitlich zu Boden. Verwirrt sehe ich auf meine Pistole. Habe ich etwa ein zweites Mal abgedrückt? Plötzlich taucht eine Gestalt zwischen den Bäumen auf, die ebenfalls eine Pistole in der Hand hält, allerdings eine weit größere als meine. Der Mann trägt einen dunkelbraunen Trenchcoat, eine tief ins Gesicht gezogene Strickmütze und einen breiten Schal, den er vor Mund und Nase gebunden hat, sodass nur noch seine Augen zu erkennen sind. Vielleicht hatte der Kahlköpfige einen Komplizen, überlege ich. Ich richte mich auf und ziele auf den zweiten Mann. Erst jetzt wird mir bewusst, dass er gar kein Komplize sein kann, wenn er auf meinen Verfolger geschossen hat. Aber das heißt noch lange nicht, dass er auf meiner Seite ist. „Wer sind Sie?“, rufe ich auf Tschechisch.
Der Mann schüttelt den Kopf, hebt seine Waffe auf, ist mit wenigen Schritten bei mir und nimmt mir die Pistole aus der Hand. „Heh!“, rufe ich, aber im nächsten Moment zieht er mich hoch, wirft mich anscheinend mühelos über seine Schulter und trägt mich tiefer in den Wald. Ich will mich wehren, aber die ganze Situation überrascht mich so sehr, dass ich gar nicht reagieren kann. Wer ist dieser Mann? Will er mich entführen? Hat er es ebenfalls auf die Unterlagen abgesehen, die ich bei mir trage?
Erst als er einige hundert Meter tiefer in den Wald gegangen ist, setzt er mich ab. Ich zucke zusammen, als ich meinen Fuß belaste, mit dem ich umgeknickt bin, dann humpele ich zu einem Felsen. Wir befinden uns auf einer Art Lichtung. Der Fremde dreht sich weg und stützt die Hände auf die Knie, um Luft zu schnappen. Ich sehe in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Sollte ich einen Fluchtversuch wagen? Aber das wäre sinnlos, die Bäume stehen so dicht, dass ich den Weg nicht ausmachen kann, und außerdem kann ich mit dem verletzten Knöchel nicht schnell genug laufen.
„Wer sind Sie?“, frage ich noch einmal. „Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen! Mein Mann hat einen wichtigen Posten in der britischen Regierung …“
„Sprich
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