Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Spielkarten auf der Matratze verteilt.
Aber Jan lässt sich nicht beirren. „Ziehen Sie sich an“, fordert sie uns auf. „Wir müssen los.“
„Ich dachte, der Flug geht erst am Morgen“, wende ich ein.
Jan schüttelt verwundert den Kopf. „Es ist schon fast Morgen.“ Paul und ich sehen uns an. Wie viel Zeit ist vergangen? „Der Flug steht allerdings nicht mehr zur Debatte.“ Sie hält uns eine Zeitung hin. Auf der Titelseite prangen äußerst präzise Phantomzeichnungen, die eindeutig Jan, Paul und mich zeigen.
23. KAPITEL
„Ich habe doch gleich gesagt, wir sollten diesen Polizisten erschießen“, meint Jan vorwurfsvoll. Ich nehme ihr die Zeitung aus der Hand und lese den Artikel.
„Was schreiben die?“, fragt Paul, während er mir über die Schulter sieht.
Bevor ich etwas vorlesen kann, antwortet Jan: „Dass zwei Ausländer den berüchtigten Jan Marcelitis befreit und dabei einen wehrlosen Polizisten kaltblütig ermordet haben.“
„Wehrlos? Was ist denn das für ein Unsinn?“
„Wie konnte das so schnell in die Zeitung gelangen?“, wundere ich mich.
„Vermutlich hat jemand die Wache aufgesucht, kurz nachdem wir geflohen sind“, gibt Jan schulterzuckend zurück. „Der Polizist wird sich wohl nicht selbst befreit haben. Er hat seine Aussage gemacht, die Zeichnungen wurden angefertigt, und die Polizei wird darauf bestanden haben, dass sie sofort gedruckt werden. Aber das wie ist jetzt nicht mehr wichtig. Auf jeden Fall müssen wir unseren Plan ändern, am Flughafen kommen wir durch keine Kontrolle mehr.“
„Vielleicht sollten wir uns hier eine Weile versteckt halten“, überlegt Paul, und zu meiner Überraschung höre ich in seinem Tonfall so etwas wie Hoffnung mitschwingen. Ich verstehe, was in ihm vorgeht. Obwohl unsere Flucht im Moment Vorrang hat, möchte ein Teil von mir mit Paul in diesem Kellerraum bleiben und die Welt draußen vergessen.
Jan schüttelt den Kopf. „Unmöglich. Der Weinkeller ist ein gutes Versteck, aber es kann immer noch zu leicht entdeckt werden. Außerdem möchte ich die Familie Meierhof nicht in Gefahr bringen.“
Ich falte die Zeitung zusammen. „Und was machen wir jetzt?“
„Mir ist noch eine andere Möglichkeit eingefallen. In einer Hafenstadt im Norden liegt das Frachtschiff SS Bremen vor Anker, das noch heute mit Ziel Großbritannien ausläuft. Wenn es uns gelingt, Sie an Bord zu bringen, können Sie sich irgendwo verstecken.“
„Wie lange wird die Reise dauern?“
„Natürlich länger als mit dem Flugzeug. Einen Tag, vielleicht sogar zwei. Aber ich glaube, das ist die einzige Lösung. Ich habe bereits einen Wagen organisiert, der Sie Richtung Norden mitnehmen wird. Kommen Sie.“
Während Paul seine Jacke zuknöpft, folge ich Jan auf dem Weg zur Tür. „Jan, warten Sie, ich möchte Ihnen etwas erklären. Ich hatte Ihnen gesagt, dass Pa… ich meine, dass Michael … dass wir beide nicht zusammen sind. Und dass ich verheiratet bin.“
Jan hebt die Hand. „Sie sind mir keine Erklärung schuldig.“
„Ich möchte es aber erklären.“ Ich ertrage den Gedanken nicht, dass Jan glauben könnte, ich sei nicht ehrlich gewesen. Dabei weiß ich gar nicht genau, wie ich etwas erklären soll, das ich selbst nicht recht verstehe. „Michael und ich waren vor Jahren ein Paar. Wir waren verlobt, aber dann gab es einen Zwischenfall, und ich glaubte, er sei tot. Ich heiratete einen anderen Mann, erst vor ein paar Tagen habe ich erfahren, dass Michael noch lebt. Darum sind wir …“ Ich gerate ins Stocken, da mir bewusst wird, wie absurd sich meine Ausführungen anhören. „Es ist ziemlich kompliziert, aber Sie sollen wissen, dass ich Sie nicht belogen habe.“
„Das Leben ist kompliziert“, erwidert Jan. „Und unberechenbar. Und kurz. Sie beide bedeuten einander offensichtlich viel. Aber vergessen Sie nicht: Für alles, was wir tun, werden wir eines Tages zur Rechenschaft gezogen.“
Sie verstummt, als Paul zu uns kommt. „Was gibt’s?“
„Nichts“, antworte ich rasch.
„Nichts“, bestätigt auch Jan. „Wir müssen los.“ Wir folgen ihr zurück in den großen Kellerraum, aber Jan geht nicht zur Leiter, sondern zu einem der Regale. Erstaunt sehen wir mit an, wie sie sich mit der Schulter dagegen stemmt. „Das hier ist ziemlich schwer, ich brauche Ihre Hilfe“, stöhnt sie. Paul stellt sich zu ihr und drückt ebenfalls, das Regal bewegt sich nur langsam zur Seite.
Dahinter kommt eine niedrige Holztür zum Vorschein. Jan öffnet
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