Die Frau des Diplomaten (German Edition)
bin in meine kleine Schwester vernarrt. Aber Jack … er war mein Held.“
„Er wäre bestimmt sehr stolz auf dich“, entgegne ich.
„Glaubst du?“ Er sieht mich wieder an, und seine Augen leuchten. Ich nicke bekräftigend. „Ich hoffe, du hast recht. Das bedeutet mir sehr viel. Danke, Marta.“
Wir essen schweigend weiter. Ich selbst war ein Einzelkind, und meine Freunde Emma, Rose und auch Alek waren die einzigen Menschen meines Alters, die mir nahestanden. Rose. Ein Stich geht durch mein Herz, als ich mir vorstelle, wie sie in ihrer letzten Nacht in ihrem Bett lag. Unwillkürlich fasse ich nach der Tasche mit meinem Visum. Ich werde für dich nach England gehen, Rose , verspreche ich ihr stumm.
Ich sehe auf und stelle fest, dass Paul mich mit eindringlichem Blick betrachtet. Mein Atem stockt und ich schaue hastig weg. Plötzlich entdecke ich in der Schaufensterscheibe mein Spiegelbild. Meine Haare sind immer noch zerzaust, mein Gesicht wirkt hinter der zu großen Brille unscheinbar. Welchen Grund sollte Paul haben, mich so anzusehen?
Als ich mich wieder zu ihm drehe, ist er auf seinen Teller konzentriert, den er fast leer gegessen hat. Sein Weinglas ist dagegen noch halb voll. „Schmeckt dir der Wein nicht?“
„Doch, er ist exzellent. Ich könnte die ganze Flasche leeren, aber du …“ Er unterbricht sich und schaut zur Seite. „Ich habe vor einiger Zeit eine junge Frau kennengelernt, die mich erkennen ließ, dass ich zu viel trinke. Seitdem habe ich entschieden, so gut es geht die Finger vom Alkohol zu lassen.“
„Oh.“ Ich erinnere mich an unsere Unterhaltung und kann kaum glauben, dass meine Worte eine solche Wirkung erzielt haben. „Ich wollte dir kein schlechtes Gewissen machen.“
„Du hattest völlig recht“, versichert er und legt seine Hand auf meine. „Du hast mich daran erinnert, wer ich vor dem Krieg war. Ich möchte wieder dieser Junge sein.“ Ich ziehe meine Hand nicht fort.
Als hätte er mit Absicht den unpassendsten Moment gewählt, taucht Henri neben unserem Tisch auf und räuspert sich. „Dessert?“
Ich fühle mich versucht, zumal ich an das Schokoladenteilchen denken muss, das so köstlich geschmeckt hat, aber ich möchte nicht gefräßig erscheinen. „Nein, ich kann keinen Bissen mehr vertragen.“
„Ich glaube, wir sollten allmählich gehen“, fügt Paul hinzu und drückt Henri mehrere Geldscheine in die Hand.
Der steckt das Geld in seine Schürze, ohne es zu zählen. „Bevor Sie gehen, möchte ich, dass Mademoiselle Marta noch meine Marie kennenlernt.“ Ehe Paul oder ich etwas erwidern können, fasst Henri mich am Arm und führt mich quer durch das Lokal. Die dunkelhaarige Frau am Flügel hört mitten im Stück auf zu spielen, als wir uns ihr nähern. Von Nahem betrachtet ist sie eine sehr elegante Erscheinung, ihre grünen Augen funkeln lebendig. Henri sagt etwas auf Französisch zu ihr, dann wendet er sich an mich. „Darf ich vorstellen: meine Frau.“
Marie steht auf und ergreift meine Hand. Das Armband um ihr Handgelenk klimpert. „Enchanté.“ Sie sieht ihren Ehemann an und redet mit ihm, ohne mich dabei loszulassen.
„Marie kann sehr gut aus der Hand lesen“, erklärt mir Henri. „Sie möchte wissen, ob sie das bei Ihnen vorführen darf.“
Ich zögere. Von den Zigeunern in Polen habe ich gehört, dass sie einem aus der Handfläche die Zukunft weissagen können, aber ich bin nie jemandem begegnet, der das bei mir versuchen wollte. Schließlich zucke ich unschlüssig mit den Schultern.
Henri nickt seiner Frau zu, sie dreht meine Hand so, dass die Innenfläche nach oben zeigt. Dann hält sie sie ans Licht und streicht einige Male mit dem Daumen darüber. Schließlich redet sie auf Henri ein, der abermals übersetzt. „Sie haben schwere Zeiten durchgemacht.“ Es ist wohl keine Leistung, das aus meiner Hand zu lesen. „Aber Ihre Lebenslinie ist ausgeprägt, und das gilt auch für die Herzlinie. Sie werden geliebt werden …“ Während er das sagt, blickt er bedeutungsvoll zu Paul, der sich hinter mich gestellt hat. Mir schaudert. „Und diese Liebe …“, fährt Henri fort, doch Marie unterbricht ihn und legt eine Hand auf seinen Arm, damit er schweigt. Sie macht eine besorgte Miene, dann streicht sie zweimal über meine Handfläche, als würde sie etwas fortwischen. Plötzlich lässt sie mich abrupt los und schüttelt den Kopf.
„Was sehen Sie?“, frage ich.
„Nichts“, versichert mir Henri sofort, aber sein Tonfall und Maries
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