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Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Titel: Die Frau des Diplomaten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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Gesichtsausdruck verraten mir, dass sie irgendetwas Beunruhigendes gelesen hat. „Ich muss mich jetzt wieder um die Gäste kümmern.“
    „Ja, natürlich“, erwidert Paul und schüttelt Henri zum Abschied die Hand, während Marie sich wieder an den Flügel setzt. Wir verlassen das Lokal. Inzwischen ist es dunkel, und entlang der Straße brennen die Gaslaternen, die alles in ein gelbliches Licht tauchen. „Reizende Leute, aber aus der Handfläche zu lesen ist Humbug.“
    „Mag sein“, gebe ich bedächtig zurück, während mir Maries Reaktion noch immer zu schaffen macht.
    „Bist du müde?“, fragt Paul. Ich schüttele den Kopf, da ich nicht möchte, dass unser Abend jetzt schon endet. „Gut. Was hältst du von einem Spaziergang?“ Er führt mich die Straße entlang, die sich durch das Viertel windet. Die Häuser zu beiden Seiten sind so schmal, dass man meinen könnte, sie würden sich gegenseitig stützen. Stimmen und Gelächter dringen aus einer Bar. Paul zeigt auf ein erleuchtetes Fenster im Erdgeschoss eines der Häuser. Eine junge Frau sitzt auf einem Bett und liest drei Kindern eine Geschichte vor. „Kannst du dir vorstellen, hier aufzuwachsen?“
    Ich antworte nicht. Ich denke an die Kinder in dem Waisenhaus, in dem meine Mutter und Emma gearbeitet haben. Was ist bloß aus ihnen allen geworden?
    In einvernehmlichem Schweigen gehen wir weiter. Nach einer Weile endet die Straße an einem Fluss. „Sieh mal dort.“ Paul zeigt auf eine Insel in der Flussmitte, auf der eine gewaltige Kathedrale steht. „Notre Dame.“ Ich bestaune das Bauwerk, gegen das die Kirche von letzter Nacht winzig wirkt. „Weißt du, man nennt Paris auch die Stadt der Lichter“, ergänzt er.
    Während Paul mich zu einem Weg führt, der entlang der Seine verläuft, kann ich meinen Blick nicht von Notre Dame abwenden. Wenig später erreichen wir eine breite Brücke über den Fluss. „Vorsicht“, warnt er mich und nimmt meinen Arm, um mich auf den Gehweg zu dirigieren. Nur ein Stück weiter passieren Autos die Brücke. Ein Kribbeln fährt durch meinen Körper. Werde ich eigentlich immer so reagieren, wenn er mich berührt? „Das ist Pont Neuf, die älteste Brücke von Paris.“ Er pfeift eine leise Melodie, als wir die Brücke überqueren. In der Mitte angekommen, bleibt er plötzlich stehen und zeigt in die Ferne. „Da hinten.“
    Mein Blick folgt der Richtung, in die er zeigt, und dann sehe ich den Eiffelturm, der sich stolz in den Himmel reckt. Gegen das Geländer gelehnt, betrachte ich staunend den Ausblick über die Stadt. „Das alles ist … ich hätte mir nie träumen lassen …“
    „Es lässt sich kaum in Worte fassen“, stimmt er mir zu und stellt sich hinter mich. Dann legt er seine Arme um mich, ich spüre seine Wärme und seinen Herzschlag. Von der kurzen Umarmung in der Botschaft einmal abgesehen, waren wir uns seit Salzburg nicht mehr so nah. Ich getraue mich kaum zu atmen.
    Plötzlich wird hinter uns auf der Straße etwas gerufen, es folgt eine Reihe lauter Knallgeräusche. Wir drehen uns um, wobei Paul sich schützend vor mich stellt. Seine Hand wandert reflexartig zu der Waffe, die er am Gürtel trägt. Wieder wird gerufen, dann jubelt jemand.
    „Klingt, als würde irgendetwas gefeiert“, überlege ich.
    Paul antwortet nicht, sondern führt mich von der Brücke zu der Straße, auf der ein paar amerikanische Soldaten zusammengekommen sind. Sie wirken aufgeregt, reden durcheinander, ein paar von ihnen lachen und jubeln. Paul geht auf einen der Männer zu und fasst ihn am Ärmel. „Was ist los?“
    „Die Japaner haben kapituliert. Der Krieg ist vorbei!“ Der Soldat johlt gut gelaunt und läuft weiter.
    Paul dreht sich um und sieht mich an. Keiner von uns kann ein Wort herausbringen. „Der Krieg ist vorbei“, wiederholt er schließlich, beugt sich vor und hebt mich hoch. „Vorbei!“ Er dreht sich mit mir im Kreis, immer schneller und schneller, bis die Lichter der Stadt vor meinen Augen verschwimmen. Als er mich absetzt, entlässt er mich nicht aus seinen Armen, stattdessen sehen wir uns eine Weile an. Plötzlich drückt er seine Lippen auf meinen Mund, und ohne zu zögern erwidere ich seinen Kuss. Es ist, als würde dieser Kuss niemals enden, als würden die Straße, die Leute und die Welt um uns herum gar nicht existieren.
    Schließlich löst sich Paul doch von mir. „Es tut mir leid“, sagt er rasch.
    „Mir tut es nicht leid.“ Ich trete einen Schritt zurück und streiche mein Kleid

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