Die Frau des Diplomaten (German Edition)
sein schütteres, zur Seite gekämmtes Haar und der schmale Oberlippenbart ihn deutlich älter aussehen lassen. Er ist fast so groß wie Paul, aber von deutlich schmalerer Statur und mit zarten, fast schon weiblichen Gesichtszügen.
„War mir ein Vergnügen.“ Er reicht mir die Hand. „Simon Gold.“
„Marta Nederman“, antworte ich, erst dann geht mir durch den Kopf, dass ich mich besser als Rose ausgegeben hätte.
Als er mich anlächelt, sehe ich seine kleinen, ebenmäßigen Zähne. „Sehr erfreut.“ Sekundenlang hält er meine Hand, seine Finger fühlen sich klamm an. Das Schiff schaukelt in die andere Richtung, und ich kann mich in letzter Sekunde an der Reling festhalten. Simon verlagert mühelos sein Gewicht, um sich an die Schiffsbewegungen anzupassen. „Die See ist heute etwas rau. Und seefest sind Sie wohl noch nicht.“
Ich lege den Kopf schräg. „Seefest?“
Er nickt und streckt die Arme zur Seite aus, dabei beugt er sich nach links und rechts. „Sie wissen schon – Sie müssen das Gleichgewicht halten.“
„Oh, tut mir leid. Ich habe erst vor Kurzem begonnen, Englisch zu lernen.“
„Tatsächlich?“ Er wirft mir einen anerkennenden Blick zu. „Sie beherrschen die Sprache mit erstaunlich wenig Akzent. Aber wenn Sie Ihre Sprachkenntnisse noch ein wenig trainieren wollen, warum gehen wir nicht hinein und trinken einen Tee?“
Ich zögere. Der Mann ist für mich ein Fremder, und ich habe nicht genug Geld, um mir einen Tee zu leisten. „Sie sind natürlich mein Gast“, beharrt er, als er meine Unsicherheit bemerkt. „So vergeht die Zeit schneller, bis wir Dover erreichen. Die anderen Passagiere sind alle so schrecklich langweilig“, ergänzt er mit einem flüchtigen, sonderbaren Lächeln. Ich muss an Paul denken, wie sich rings um seine Augen unzählige Fältchen bilden, wenn er lächelt.
„Kommen Sie“, sagt Simon und geht voraus. Als ich ihm folge, wird mir bewusst, dass ich seine Einladung eigentlich gar nicht angenommen habe. Ich setze zum Protest an, doch in diesem Moment öffnet Simon die Tür zum Oberdeck-Café, und mir schlägt eine köstliche Wolke warmen Gebäckgeruchs entgegen. Ich trete ein, dann bleibe ich abrupt stehen. Alles hier wirkt so prachtvoll! Kleine Tische mit weißen Tischdecken, echtem Porzellan und silbernem Besteck darauf warten auf uns. Ein Mann kommt auf uns zu, und insgeheim rechne ich damit, des Raumes verwiesen zu werden. Stattdessen werden wir zu einem freien Tisch an einem der Fenster geführt.
Der Kellner bringt eine Kanne Tee und einen Teller mit Keksen an unseren Tisch. Während er den Tee eingießt, mustere ich Simon und frage mich abermals, ob es sich gehört, die Einladung eines fremden Mannes anzunehmen. Schließlich bin ich jetzt verlobt! Aber ich komme zu dem Schluss, dass Simon einfach nur nett zu mir ist.
„Und was führt Sie nach England?“, fragt er, nachdem der Kellner gegangen ist.
„Eine Freundin ist verstorben“, bringe ich nach einem tiefen Atemzug heraus. Sobald ich an Rose denke, steigen mir noch immer Tränen in die Augen. „Ich überbringe ihrer Tante in London die Nachricht und ein paar Habseligkeiten.“
„Oh, das tut mir leid.“
Ich nicke, obwohl es mir Unbehagen bereitet, mit einem Fremden über Rose zu sprechen. „Und was ist mit Ihnen?“, versuche ich das Thema zu wechseln.
„Ich bin Brite“, antwortet er, als würde das alles erklären, und nimmt einen Keks vom Teller.
„Das dachte ich mir bereits. Ich meine, was haben Sie auf dem Kontinent gemacht?“
„Ich habe einige Monate dort gearbeitet. Ich bin Diplomat, müssen Sie wissen.“ Simons Englisch klingt anders als alles, was ich bislang gehört habe. Er spricht knapp und präzise, was es mir leicht macht, ihn zu verstehen. „Ich habe mitgeholfen, in verschiedenen Städten unsere Botschaften wieder aufzumachen, die während des Krieges geschlossen waren.“ Er arbeitet für die Regierung! Hätte ich mich ihm doch bloß als Rose vorgestellt. Was, wenn er meine Papiere zu sehen bekommt? „Jetzt kehre ich ins Außenministerium zurück und arbeite wieder für die Abteilung, für die ich auch vor meiner Reise schon tätig war. Osteuropäische Angelegenheiten.“ Er deutet auf den Teller. „Sie sollten davon probieren. Die sind köstlich.“
Ich nehme ebenfalls einen Keks. „Ich komme aus Polen“, erkläre ich, dann beiße ich ein Stück ab. Es schmeckt gut, aber lange nicht so gut wie das Schokoladenteilchen in Paris. Ich denke an die
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