Die Frau des Diplomaten (German Edition)
mein Gesicht an seine Brust. „Ist schon gut“, flüstert er und streicht mir übers Haar.
Einige Minuten vergehen, dann wische ich mir über die Wangen und erkläre schluchzend: „Es tut mir leid.“
„Das muss es nicht. Ich sehe auch noch immer die Gesichter der Menschen vor mir, die ich getötet habe. Da war dieser eine Soldat, eigentlich noch ein Junge, ganz sicher nicht älter als zwanzig. Natürlich gab es auch andere, aber dieser eine Soldat … Ich war vielleicht zwei Meter von ihm entfernt.“ Obwohl er schnell spricht, kann ich ihm folgen. „Nachdem ich ihn getroffen hatte, sah er mich völlig entgeistert an. Ich glaube, er erwartete, dass ich ihn einfach nur gefangen nehme. Vielleicht hätte ich das tun sollen, aber seine Einheit hatte kurz zuvor meinen Freund David getötet. Eine Granate landete in unserem Versteck, und eigentlich hätte es auch mich treffen können. Alles war voller Blut, unsere Ausrüstung, die Spielkarten, mit denen wir eben noch gespielt hatten. Ich hielt David in meinen Armen, als er starb.“
„Das tut mir sehr leid.“ Ich drücke ihn etwas fester.
„Mir auch. Mir tut alles leid, was wir durchmachen mussten. Aber jetzt ist es vorbei, und nun sind es nur noch zwei Wochen.“ Er lächelt mich an. „Ich kann es kaum erwarten, dich meiner Mom vorzustellen. Sie wird dich mögen. Und dann die Ranch! Es gibt da ein Fleckchen auf unserem Land, wo der Bach im Wald verschwindet. Ich glaube, dort sollten wir unser Haus bauen.“
Unser Haus . „Das hört sich schön an.“
„Und da können dann unsere … na, sagen wir, unsere zwanzig Kinder aufwachsen“, ergänzt er.
Ich muss lachen. „Zwanzig Kinder? Lass uns erst mal mit einem anfangen.“ Aus heiterem Himmel überkommt mich Sorge. „Paul, versprich mir, dass du auf dich aufpasst.“
„Das werde ich“, versichert er mir ernst, dennoch bemerke ich ein amüsiertes Funkeln in seinen Augen. „Ich werde nicht allzu viele Croissants essen, und ich werde mit keiner einzigen Französin tanzen, das schwöre ich dir.“
„Sehr witzig.“ Ich knuffe seinen Arm. „Ich meine es ernst. Pass gut auf dich auf und beeil dich, zu mir zu kommen.“
„Ich werde kein unnötiges Risiko eingehen, nicht jetzt, wo wir so viel zu verlieren haben.“ Er sieht über meine Schulter auf die Uhr. „Aber jetzt sollten wir uns fertig machen, sonst verpasst du deinen Zug.“
Unwillig wende ich mich ab und klettere aus dem Bett. „Du bleibst hier.“
Er setzt sich auf. „Ich will dich aber zum Bahnhof bringen.“
„In der Stadt ist jetzt alles ruhig“, wehre ich kopfschüttelnd ab. „Mir passiert schon nichts. Und so ist es besser, glaub mir. Bitte.“ Der Abschied wird schwer werden, und ich will es so schnell wie möglich hinter mich bringen.
„Ganz sicher?“
„Ganz sicher. Der einzige Bahnhof, an dem ich dich sehen möchte, liegt in London. In zwei Wochen. Außerdem möchte ich dich so in Erinnerung behalten, wie ich dich jetzt vor mir sehe“, ergänze ich und versuche unbeschwert zu klingen.
Er lenkt ein und lehnt sich einen Moment lang zurück, dann greift er nach seiner Tasche auf dem Boden und zieht einen Notizblock heraus, den er mir zusammen mit einem Bleistift hinhält. „Schreib mir deine Adresse in London auf.“
Unbehagen regt sich in mir. „Für den Fall, dass sich deine Pläne ändern?“
Paul schüttelt vehement den Kopf. „Nichts wird sich ändern. Ich will dir doch nur eine Ansichtskarte schicken.“ Ich hole meine Unterlagen hervor und schreibe die Adresse vom Visum ab. „Danke“, sagt er, als ich ihm den Block zurückgebe. Dann ziehe ich mich hastig an, und eine Minute später setze ich mich wieder zu ihm aufs Bett.
„Hast du genug Geld?“, will er wissen.
„Ja“, behaupte ich wider besseres Wissen und nicke nachdrücklich.
Er legt die Hände an mein Gesicht. „Zwei Wochen.“
„Zwei Wochen“, wiederhole ich ernst. „Sei vorsichtig.“
„Das bin ich immer“, gibt er zurück. „Sei du auch vorsichtig.“ Lange Zeit sieht er mir in die Augen und küsst mich dann innig. Ich schließe die Augen und atme seinen Duft ein, während ich mir wünsche, dass dieser Moment nie vorübergehen würde. Aber schon in der nächsten Sekunde höre ich eine Kirchturmglocke, die zur vollen Stunde schlägt.
„Ich muss los.“ Schweren Herzens löse ich mich von ihm und gehe zur Tür. Dort drehe ich mich noch einmal um und kämpfe mit den Tränen. „Alles Gute, Paul.“
Er lächelt. „Wir sehen uns bald
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