Die Frau des Diplomaten (German Edition)
zurück. „Vielen Dank für den Tee.“
„Es war mir ein Vergnügen“, erwidert er und steht ebenfalls auf. „Kann ich Sie nach London mitnehmen, wenn wir angelegt haben? Es wartet ein Wagen mit Fahrer auf mich, und es würde mir keine Umstände bereiten.“
Einen Moment lang denke ich über das Angebot nach. Es wäre so wunderbar einfach, mich von ihm in die Stadt fahren zu lassen. Aber etwas an Simons entgegenkommender Art, an der Art, wie er mich ansieht, löst Unbehagen in mir aus. Außerdem kenne ich ihn nicht gut genug, um beurteilen zu können, ob ich ruhigen Gewissens auf sein Angebot eingehen kann. „Nein, danke. Ich werde abgeholt“, behaupte ich.
Enttäuschung huscht über Simons Gesicht. Er greift in seine Tasche und zieht ein silbernes Etui heraus. „Meine Visitenkarte“, sagt er und reicht mir eine Karte. „Für den Fall, dass sich Ihre Pläne ändern.“
„Das werden sie nicht“, gebe ich zurück und bemerke erstaunt, wie überzeugt ich klinge.
„Nun, dann nehmen Sie sie für den Fall, dass Sie irgendetwas benötigen, während Sie in London sind“, beharrt er. Unsere Finger berühren sich, als ich die Karte annehme.
Plötzlich verspüre ich den dringenden Wunsch, die Flucht zu ergreifen. „N-nochmals danke.“ Ich stecke die Karte ein und entferne mich, wobei ich deutlich spüre, wie er mich mit seinen Blicken verfolgt.
Die nach Kohle riechende Luft ist nasskalt, als ich den von Bäumen gesäumten Platz überquere und auf eine Häuserreihe zusteuere. Inzwischen ist es dunkel, das schwache gelbe Licht der Straßenlaternen wird fast völlig vom dichten Londoner Nebel geschluckt. Auf dem Straßenschild an der Ecke lese ich Montpelier Place . Die Häuser stehen hinter hohen Metallzäunen, dichte Hecken schützen vor den Blicken Neugieriger. Nummer 33 steht auf meinem Visum vermerkt, es ist das Eckhaus, von dem aus man den ganzen Platz überblicken kann. Ich überquere die Straße und bleibe vor dem imposanten Gebäude stehen. Rose war so ruhig und unscheinbar, dass ich nie gedacht hätte, dass ihre Familie so wohlhabend sein könnte. Meine Knie zittern.
Ich nehme allen Mut zusammen, gehe zum Tor und spähe hindurch. Auf der anderen Seite wird eine breite marmorne Eingangstreppe von einem gepflegten Rasen gesäumt. Ich sehe hinauf zu den Fenstern, aber alles ist dunkel. Eigentlich ist es schon viel zu spät, um jemandem einen Besuch abzustatten, erst recht, wenn man denjenigen gar nicht kennt. Aber als mein Zug Victoria Station erreichte, wusste ich nicht, wohin ich sonst gehen sollte. Außer Simon Gold kenne ich niemanden in der Stadt, und für ein Hotelzimmer habe ich kein Geld. Also bin ich hergelaufen, nachdem mir eine Frau am Bahnhof den Weg erklärt hatte. Ich bin zunächst mit der U-Bahn bis zur Sloane Square Station gefahren und dann ein paar Häuserblocks gegangen. Nun stehe ich hier. Als plötzlich Roses Gesicht vor meinem inneren Auge auftaucht, weiß ich, dass ich richtig gehandelt habe.
Ich atme tief durch und drücke den Klingelknopf. Von drinnen ist zu hören, wie die Türglocke geht. Nichts geschieht. Mein Herz schlägt wie verrückt. Vielleicht ist Roses Tante ja gar nicht da? Ich klingele noch einmal.
„Ja?“, ertönt plötzlich eine knarzende Männerstimme, die mich zusammenzucken lässt. Ich sehe zum Haus, doch da ist niemand, und die Tür ist immer noch geschlossen. „Wer ist da?“ Erst jetzt fällt mir ein kleines schwarzes Kästchen auf, das sich gleich über der Klingel befindet.
Ich räuspere mich. „Ich … ich bin auf der Suche nach Mrs. LeMay.“
„Das ist Mrs. LeMays Haus“, erwidert die Stimme. „Aber heute Abend erwartet Mrs. LeMay keine Besucher.“
„Aber …“, beginne ich.
„Es ist schon spät, Miss“, unterbricht mich die Stimme. „Kommen Sie morgen wieder. Und rufen Sie bitte vorher an.“ Dann höre ich ein Klicken, und das Kästchen verstummt.
Ich wende mich von dem Haus ab, meine Wangen glühen. Doch im nächsten Moment halte ich inne. Ich muss das hinter mich bringen! Also drehe ich mich wieder um und klingele noch einmal. „Was denn?“, herrscht mich der unsichtbare Mann an. „Ich sagte Ihnen doch, dass Sie …“
Diesmal falle ich ihm ins Wort. „Bitte. Es ist äußerst wichtig. Wenn Sie zur Tür kommen würden …“
Ich bekomme keine Antwort und starre ratlos das schwarze Kästchen an. Hat er schon wieder einfach die Verbindung unterbrochen? Ich sehe mich auf der Straße um. Ich werde mir ein Quartier für die Nacht
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