Die Frau des Diplomaten (German Edition)
das Sofa. Nur sehr ungern möchte ich den edlen Stoff zerknittern. „Kommen Sie, setzen Sie sich“, drängt sie mich. „Sie müssen entschuldigen, dass Charles so schroff war, aber in den letzten Monaten haben so viele Bittsteller hier geklingelt, da ist er argwöhnisch geworden. Es ist schon eine Schande, was dieser Krieg aus den Menschen gemacht hat. Natürlich versuchen wir zu helfen, wo wir können.“ Kaum hat sie sich ans andere Ende des Sofas gesetzt, kommt eine große graue Katze in den Salon geschlendert und springt ihr auf den Schoß. „Das ist Ruff“, erklärt Delia und krault das Tier hinter den Ohren. „Er ist fast fünfzehn. Den Namen hat Rose ihm gegeben. Ich habe versucht, ihr klarzumachen, dass der Name besser zu einem Hund passt, aber das Kind war ziemlich stur.“
Ich versuche mir die ruhige, sanftmütige Rose als stures Kind vorzustellen. Es muss der Krieg gewesen sein, der sie so verändert hat. Plötzlich fällt mir ein Gemälde über dem Kamin auf. Es zeigt ein Mädchen mit zarten Gesichtszügen und blondem Haar. „Ist das Rose?“
Delia lächelt. „Ja. Wenn Rose im Sommer nicht nach London kommen konnte, dann trafen wir uns auf dem Familiensitz an der Küste nahe Triest. Ein Künstler aus der Gegend malte das Porträt, als sie ungefähr neun war. Es hat mir immer sehr gut gefallen.“ Als ich sehe, mit welcher Freude sie das Bild betrachtet, wird mir unwohl.
Charles bringt den Tee und schenkt zwei Tassen ein, dann zieht er sich wieder zurück. Delia reicht mir eine Tasse. „Zucker kann ich leider nicht anbieten. Bis zur nächsten Woche sind die Lebensmittelkarten aufgebraucht, und auf dem Markt gibt es momentan nichts.“ Überrascht wird mir klar, dass sie vom Schwarzmarkt spricht. Es ist nur schwer vorstellbar, dass eine Frau wie Delia LeMay Dinge unter der Hand beschafft, aber sie spricht davon so selbstverständlich, als gehöre es zum Alltag. „Und wie geht es meiner lieben Rose?“ Sie rührt in ihrem Tee. „Rose schrieb mir, sie würde zusammen mit Ihnen herkommen. Ist sie noch nicht kräftig genug, um die lange Reise anzutreten?“
Ich zwinge mich, einen Schluck zu trinken, obwohl ich einen Kloß im Hals spüre, der mich zu ersticken droht. „Mrs. LeMay, Sie wissen von Roses Krankheit, nicht wahr?“
Ihre Miene nimmt einen ernsten Zug an. „Ja. Sie leidet schon seit Jahren an einer Blutkrankheit. Aber in ihren Briefen schreibt sie, dass es ihr besser geht und sie jeden Tag ein bisschen kräftiger wird. Das habe sie Ihnen und dieser Krankenschwester zu verdanken. Dana heißt sie, glaube ich.“
„Dava.“ Ich mache eine kurze Pause. „Rose war tatsächlich auf dem Weg der Besserung.“
„War?“, wiederholt Delia langsam und beginnt bereits zu verstehen. „Soll das heißen …?“
„Ja. Leider ja.“
Sie wird kreidebleich. „Was ist geschehen?“
„Vor ein paar Tagen bekam sie hohes Fieber. Die Ärzte und Schwestern taten alles, was in ihrer Macht stand, aber Roses Körper war zu geschwächt. Es tut mir so leid.“ Delia starrt schweigend vor sich hin. Ich nehme die Teetasse aus ihrer zitternden Hand und stelle sie auf den Tisch. „Soll ich nach Charles rufen?“ Sie antwortet nicht, sondern schlägt so abrupt die Hände vors Gesicht, dass die Katze von ihrem Schoß springt. Sie zittert am ganzen Leib, als sie lautlos zu schluchzen beginnt.
Einen Moment später nimmt sie die Hände fort. „Ich hatte sie schon vor dem Krieg angefleht, zu mir zu kommen und bei mir zu leben. Aber ihr Vater war krank, und sie wollte ihn nicht allein lassen. Sie sagte, dass Amsterdam ihr Zuhause sei und dass schon alles gut werden würde.“ Vor dem Krieg hat das wohl jeder gedacht, denke ich bei mir. „Ich kann es nicht fassen, dass sie nicht mehr da ist“, sagt Delia leise. „Sie war wie eine Tochter für mich.“
„Ich weiß.“ Sanft streichle ich ihre Hand. „Sie hat immer nur von Ihnen erzählt. Und sie freute sich so sehr darauf, herzukommen und hier ein neues Leben zu beginnen.“
„Sie war meine einzige noch lebende Verwandte.“ Delia wischt sich über die Augen. „War … war sie glücklich? Zum Schluss, meine ich.“
„Ja, sehr sogar. Sie war an einem wunderschönen Ort, man kümmerte sich gut um sie, und sie hatte Freunde.“ Ich beschreibe Delia das Schloss und den Park. Dann hole ich Roses Sachen aus meiner Tasche. „Hier.“ Ich ziehe ein Bild hervor, das Rose gemalt hat und das die Aussicht von der Terrasse auf die Berge und den See zeigt.
„Das
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