Die Frau des Diplomaten (German Edition)
aus Paris. Erwarte sehnsüchtig unser Wiedersehen. In Liebe, dein Mann , hatte er mir geschrieben.
Dein Mann. Mein Herz macht vor Freude einen Satz, so oft habe ich in den letzten zwei Wochen von diesem Augenblick geträumt. In der vergangenen Nacht habe ich so gut wie nicht geschlafen, dafür stundenlang gegrübelt. Was, wenn der Zauber zwischen uns verflogen ist? Wenn ich ihm doch nicht so viel bedeute, wie er geglaubt hat? Es ist ja nicht so, als würden wir uns gut kennen. Als ich jetzt dastehe und auf die Gleise starre, verdränge ich die quälenden Gedanken. Es wird schon wieder so wunderbar sein wie in Paris. Doch was werden wir tun, wenn er erst einmal hier ist? Wird er auf Delias Angebot eingehen und das zweite Gästezimmer in Anspruch nehmen? Oder wird er lieber in einer Soldatenunterkunft irgendwo in der Stadt übernachten wollen? Und wie lange werden wir in London bleiben? Was muss noch erledigt werden, bevor wir nach Amerika aufbrechen können?
Ich wische die feuchten Handflächen an meinem Kleid ab und sehe zum Bahnsteig. Es ist Freitagabend, und überall drängen sich die Reisenden – Männer in Anzügen und mit Aktentaschen, die von der Arbeit kommen, Familien mit Kindern, die einen Wochenendausflug antreten. Trotzdem sind überall noch Spuren des Krieges zu sehen. Ein britischer Soldat humpelt mit schmerzverzerrtem Gesicht an Krücken durch den Bahnhof, und neben einem Werbeplakat für Herrenmode informiert ein großes Hinweisschild darüber, dass die Lebensmittel nach wie vor rationiert sind.
Mein Blick bleibt an einem Imbissstand hängen, vor dem vier amerikanische Soldaten stehen. Vielleicht ist Paul doch mit einem anderen Zug gekommen? Nein, er ist nicht dabei.
Hinter mir wird an einem Zug ein Signalhorn betätigt, vor Schreck wirbele ich herum und sehe, dass sich eine Lok dem Bahnhof nähert. Der Zug aus Cambridge! Als er einfährt, laufe ich nach vorn und komme auf wackligen Beinen gefährlich nahe an der Bahnsteigkante zum Stehen. Ein Schaffner fasst mich am Ellbogen. „Vorsicht, Miss!“, ruft er. „Treten Sie bitte zurück.“ Mit hochrotem Kopf befolge ich die Anweisung. Der Zug kommt mit kreischenden Bremsen zum Stehen, und während die Türen aufgehen, streiche ich mir nervös über die Haare. Die Passagiere quellen aus dem Zug, und ich stehe da und suche nach Paul. Plötzlich entdecke ich eine grüne Uniform, ein amerikanischer Soldat kommt den Bahnsteig entlang. Ich mache bereits ein paar Schritte auf ihn zu, doch dann bleibe ich stehen. Nein, dieser Mann ist viel zu klein, und seine Haarfarbe ist zu hell.
Die Menschenmenge verteilt sich in alle Richtungen, jeder Reisende scheint ein anderes Ziel zu haben, und ich schaue verzweifelt den letzten Passagieren hinterher. Haben wir uns etwa verpasst? Als niemand mehr da ist, wende mich an den Schaffner. „Bitte, wann kommt der nächste Zug?“
Er sieht mich an. „Aus Cambridge? Etwa in einer Stunde. Gleicher Bahnsteig.“
„Danke.“ Sicher kommt Paul mit dem nächsten Zug. Etwas ratlos verlasse ich den Bahnsteig und gehe zurück in die Bahnhofshalle. Auf einmal knurrt mein Magen. Den ganzen Tag über war ich viel zu nervös, um einen Bissen herunterzubekommen, auch wenn Delia mich gewarnt hat, dass ich auf diese Weise noch in Ohnmacht fallen würde. Ich gehe zu dem Verkaufsstand, an dem sich eben noch die Soldaten aufgehalten haben, und bestelle einen Kaffee und ein Käsesandwich.
Während ich auf meine Bestellung warte, betrachte ich mich in einem Spiegel hinter der Theke. Den Großteil des Tages habe ich darauf verwendet, mich für Paul hübsch zu machen. Ich habe ein Bad genommen und mich um meine Frisur gekümmert. Außerdem habe ich das marineblaue, mit weiß abgesetzte Kleid angezogen, das Delia mir kurz nach meiner Ankunft geschenkt hat. Sie sagte, sie habe es aus zweiter Hand gekauft, doch dem Stoff ist deutlich anzusehen, dass es noch nie zuvor getragen wurde. Der Größe des Kleides nach zu urteilen, war es wohl für Rose bestimmt. Einen Moment lang stelle ich mir vor, wie sie neben mir steht und wir aufgeregt miteinander tuscheln. Rose sollte an meiner Stelle in London sein, geht es mir schuldbewusst mindestens zum hundertsten Mal durch den Kopf. Sie sollte bei Delia wohnen und dieses Kleid tragen. Ein letztes Mal blicke ich in den Spiegel. Mit viel Mühe habe ich meine Locken geglättet, doch zu meiner Verärgerung hat die hohe Luftfeuchtigkeit dafür gesorgt, dass sie sich schon wieder kräuseln. Ich weiß, dass
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