Die Frau des Diplomaten (German Edition)
gehen. Während der Bus durch die Straßen fährt, lasse ich mir noch einmal Simons Angebot durch den Kopf gehen. Eine Chance zu helfen, hat er gesagt. Ich denke schuldbewusst an Emma, die irgendwo in Osteuropa zurückgeblieben ist. Ob sie noch am Leben ist? Wie mag es ihr wohl ergehen? Wenn ich für Simon arbeite, kann ich vielleicht etwas bewirken. Eine Gänsehaut überkommt mich, und ich erinnere mich an das Gefühl, das mir die Arbeit für den Widerstand gegeben hat. Vielleicht ist es ja genau das Richtige für mich. Eine Herausforderung, der ich mich stellen muss. Und nebenbei – diese Arbeit wird ganz sicher besser bezahlt als eine Anstellung als Verkäuferin. Ich komme zu dem Schluss, dass ich Delia um ihre Meinung bitten werde, sobald ich zu Hause bin.
Ich schaue gedankenverloren aus dem Fenster, einige Minuten später haben wir den Hyde Park erreicht, und mit einem Mal fühle ich mich völlig erschöpft. Das muss daran liegen, dass ich so lange Zeit nur im Bett war und dann gleich so viel gelaufen bin. Plötzlich bremst der Busfahrer scharf ab, und ich reiße gerade noch die Hand zum Haltegriff hoch, damit ich nicht gegen den Sitz vor mir geschleudert werde. Als ich mich wieder gerade hinsetze, wird mir übel, und ich springe von meinem Platz auf und laufe nach vorn. „Ich muss aussteigen“, sage ich mit schwacher Stimme zum Fahrer.
„Aber Miss, wir sind mitten auf der Straße. Ich darf Sie nur an einer Haltestelle rauslassen.“
Ich halte eine Hand vor meinen Mund. „Bitte, mir ist schrecklich übel.“
Der Fahrer schüttelt den Kopf und drosselt das Tempo, während ich die Stufen hinuntereile, vom Wagen springe und mich durch den Verkehr schlängele. Irgendjemand hupt, aber ich laufe unbeirrt weiter, überquere den Fußweg und erreiche gerade noch rechtzeitig die Büsche, um mich in ihrem Schutz zu übergeben. Ich würge das Eis ebenso aus wie das Frühstück von heute Morgen. Dann beruhigt sich mein Magen wieder. Ich sehe mich um. Im Gras und auf den Bänken ringsum sitzen Leute, die ihr Mittagessen zu sich nehmen, sie unterhalten sich oder lesen Zeitung. Niemand scheint mich bemerkt zu haben. Erleichtert wische ich mir mit dem Ärmel den Mund ab, dann suche ich mir die nächste freie Bank. Kalter Schweiß tritt mir auf die Stirn. Was ist bloß los mit mir? Ich kann es mir jetzt nicht erlauben, krank zu werden. Vielleicht habe ich etwas Verdorbenes gegessen, aber dann fällt mir ein, dass ich mich schon einmal übergeben musste, und zwar nachdem ich am Abend zuvor vergeblich auf Pauls Ankunft gewartet hatte. Paul. Plötzlich sehe ich ihn vor mir, wie er mit mir in Paris in diesem kleinen Hotelzimmer im Bett liegt. Unsere gemeinsame Nacht ist jetzt fast einen Monat her. Unbehagen macht sich in mir breit.
Unmöglich, denke ich. Ich kann nicht schwanger sein, nicht nach nur einer Nacht. Aber der Gedanke lässt mich nicht los. Ich überlege, wann ich meine letzte Periode hatte, und zähle die Tage. Das ist schon eine ganze Weile her, wie mir mit einem Mal bewusst wird. Durch Pauls Tod habe ich gar nicht weiter darauf geachtet. Langsam beschleicht mich Furcht. Meine Periode muss durch die ganze Aufregung aus dem Lot geraten sein. Sie wird sicher in den nächsten Tagen einsetzen. Aber das ungute Gefühl will sich nicht einfach verdrängen lassen, als ich mich wieder auf den Weg mache.
Eine halbe Stunde später habe ich Delias Haus erreicht. Ich treffe sie in der Küche an, wo sie einen Teig knetet. Im Raum sieht es aus, als wäre ein Mehlsack explodiert – alles ist von einer feinen weißen Schicht überzogen. „Hallo, meine Liebe“, sagt sie, ohne aufzusehen. „Ich will nur ein paar Weckchen backen.“
Unwillkürlich muss ich lächeln. Obwohl Charles sich meistens um das Essen kümmert, lässt es sich Delia nicht nehmen, selbst in der Küche aktiv zu werden. Zumindest versucht sie es. Mehr als einmal habe ich erlebt, wie Charles geduldig abgewartet hat, bis Delia endlich ihre Kreation in den Ofen geschoben hat, damit er das von ihr angerichtete Chaos beseitigen kann.
Der Geruch nach Essen lässt meinen Magen abermals rebellieren. „Das riecht gut“, behaupte ich und lasse mich auf den Küchenstuhl sinken. „Tut mir leid, dass ich so lange unterwegs war.“
„Ich habe ja deine Notiz gelesen. Ich bin froh, dass du aufgestanden und an die frische Luft gegangen bist. Wo warst du denn?“
„Spazieren.“ Dann beschreibe ich ihr meine zurückgelegte Wegstrecke. „Ich wäre schon früher nach
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