Die Frau des Diplomaten (German Edition)
kaum eine völlig fremde Frau empfangen wollen, die behauptet, mit ihm verlobt gewesen zu sein, selbst wenn ich die Erkennungsmarken vorzeige. Für die Menschen, die ihn liebten, habe ich nie existiert. Tränen steigen mir in die Augen.
Es reicht. Das Sinnvollste ist, in England zu bleiben. Hier habe ich wenigstens noch eine Zeit lang ein Dach über dem Kopf. Aber ich muss Arbeit finden, ich muss Geld verdienen, damit ich Kost und Logis bezahlen kann. Ein leichtes Unterfangen wird das nicht werden. Aus der Zeitung und aus Gesprächen mit Delia weiß ich, dass die Soldaten heimkehren und die Wirtschaft Mühe hat, sich zu erholen. Da ist es für jede Frau schwierig, eine Anstellung zu bekommen, erst recht, wenn diese Frau ein schlechtes Englisch mit deutlichem Akzent spricht und keinerlei Berufserfahrung hat. Aber Delia kennt Leute, sie könnte sich für mich umhören. Eine Arbeit in einem Geschäft vielleicht. Meine Gedanken überschlagen sich. Das ist vielleicht nicht das Leben, das ich mir vorgestellt habe, aber es ist ein Leben!
Am anderen Ende des Parks bemerke ich eine Gruppe amerikanischer Soldaten, die den Westminster Abbey fotografieren. Mein Herz macht einen Satz. Was, wenn einer von ihnen Paul ist und das Schicksal uns auf die gleiche magische Weise zusammenführt wie damals in Paris? Aber das ist ja gar nicht möglich. Ich betrachte mein Eishörnchen, und auf einmal widert mich die Schokolade an. Ich gehe zum nächsten Abfalleimer, um den Rest meines Eises wegzuwerfen.
„Sie wissen bestimmt, dass das Vergeudung ist“, höre ich eine Männerstimme hinter mir. Ich erstarre, da ich sekundenlang glaube, mein Wunschtraum sei doch noch in Erfüllung gegangen. Aber der Mann spricht mit einem britischen Akzent.
Aus heiterem Himmel koche ich vor Wut. Es ist mein Eishörnchen! Ich habe dafür bezahlt. Wie kann ein dahergelaufener Fremder glauben, er müsse mir Vorschriften machen? „Das geht Sie wirklich …“, beginne ich und drehe mich um, doch dann bleiben mir die Worte im Hals stecken. Der Fremde ist Simon, meine Bekanntschaft von der Fähre.
„Simon Gold“, sagt er, kommt einen Schritt näher und deutet einen Handkuss an, noch ehe ich reagieren kann. „Wir sind uns auf der Fähre begegnet.“
„Ja, natürlich“, erwidere ich verblüfft. Ich erinnere mich an unsere Unterhaltung. Ich weiß noch, dass ich ihm von meiner Verlobung mit Paul erzählt habe. Das scheint eine Ewigkeit her zu sein.
„Mein Büro liegt gleich um die Ecke.“ Simon deutet in Richtung Whitehall. „Ich mache gerade meinen täglichen Spaziergang.“
„Aha.“ Ich fühle etwas Kaltes, Klebriges auf meiner Hand. Das Eis schmilzt und läuft aus dem Hörnchen.
„Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass es Vergeudung wäre, Mitchells Eiscreme wegzuwerfen.“ Ich nicke und bin immer noch zu überrascht, um etwas zu entgegnen. Als er mir das Eis abnehmen will, beeile ich mich, es zu verschlingen. Amüsiert sieht er mir zu, dann deutet er auf meine verschmierte Hand. „Warten Sie hier.“ Ich schaue ihm nach, wie er zu dem Eisverkäufer läuft. Erstaunt stelle ich fest, dass ich froh bin, Simon zu sehen. Er ist ein vertrautes Gesicht in einer fremden Welt. Eine Minute später kehrt er mit einer Serviette zurück, an der ich meine Finger abwischen kann.
„Kommen Sie, setzen wir uns für einen Moment“, schlägt er vor. Ich folge ihm zu der Bank, auf der ich vor ein paar Minuten noch gesessen habe. „Ich muss sagen, ich bin überrascht, Sie hier zu sehen. Ich dachte, Sie wären längst mit Ihrem Verlobten nach Amerika abgereist.“
Ich atme tief durch. „Mein Verlobter ist ums Leben gekommen.“ Zum ersten Mal, seit ich von Pauls Tod erfahren habe, spreche ich es laut aus.
„Es tut mir leid, das zu hören. Was ist geschehen?“
„Ein Flugzeugabsturz über dem Ärmelkanal.“ Ich grabe meine Fingernägel in das Holz der Bank und zwinge mich, nicht zu weinen.
Er presst die Lippen zusammen. „Ich habe davon in der Zeitung gelesen. Schreckliche Sache, und so viele Opfer. Ich kann nur wiederholen, wie leid es mir tut.“
„Danke.“ Ich wende meinen Blick ab. Schweigend beobachten wir ein paar Kinder, die auf dem Rasen Fußball spielen.
„Und was werden Sie nun machen?“, fragt er nach einer Weile.
„Das weiß ich noch nicht genau. Wahrscheinlich werde ich in London bleiben. Weder in Polen noch irgendwo sonst habe ich Verwandte. Hier kann ich wenigstens bei der Tante einer Freundin wohnen. Allerdings brauche ich
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