Die Frau des Diplomaten (German Edition)
schlage ich die Beine übereinander, dann wieder bewege ich meine Füße hin und her, um gegen den drohenden Krampf anzukämpfen. Ich reibe meine Augen, setze die Brille wieder auf und sehe mich beiläufig an dem langen Konferenztisch um, der den Großteil des Raumes beansprucht. Die Männer, die an diesem Tisch sitzen – durchweg im mittleren Alter, in dunkle Anzüge gekleidet und mit blassen Gesichtern –, sind die Leiter des Europäischen Direktorats oder deren Stellvertreter. Manche stehen einzelnen Ländern oder Gruppen von Ländern vor („Ich bin Benelux“, hörte ich einen Mann bei einer Party sagen), andere arbeiten themenbezogen, zum Beispiel zugunsten der Erholung der Wirtschaft oder mit Blick auf politisch-militärische Aspekte. Einige wenige, zu denen auch Simon gehört, sind auf geheimdienstliche Aktivitäten spezialisiert. Sie alle lauschen nun den Ausführungen des stellvertretenden Ministers, jedoch nicht alle mit dem gleichen Interesse. Manche verfolgen gebannt jedes Wort, andere blättern in den vor ihnen liegenden Papieren. Ein mir unbekannter Mann ist mittlerweile eingeschlafen, die Augen sind ihm zugefallen, sein Mund steht einen Spaltbreit offen. Hinter den Männern sitzen die jeweiligen Sekretärinnen, die so wie ich einen dunklen Rock und eine langärmelige Bluse tragen. Sie lassen sich nicht anmerken, ob der Vortrag sie langweilt, sondern verharren mit gerader Haltung, den Kopf leicht nach vorn gebeugt, und machen sich eifrig Notizen.
Ich verlagere mein Gewicht ein wenig und straffe die Schultern. Mein Blick wandert zu Simon, der am Kopfende sitzt. Seine mürrische Miene lässt mich überlegen, ob es ihn stört, dass ich mich bewegt habe, doch dann sieht er mir in die Augen. Für einen winzigen Moment huscht ein Ausdruck von Langeweile und Ungeduld über sein Gesicht, doch als er aufs Neue den stellvertretenden Minister anschaut, wirkt er wieder völlig ausdruckslos.
Simon. Mein Blick will sich nicht von seinem Gesicht lösen. Mein Ehemann. Obwohl wir mittlerweile über zwei Jahre verheiratet sind, kann ich diese Tatsache noch immer nicht recht glauben. Nur ein paar Tage, nachdem ich begonnen hatte, im Außenministerium zu arbeiten, sprach er mich das erste Mal an, um mich auf einen Drink nach der Arbeit einzuladen. „Aber nur, weil wir beruflich miteinander zu tun haben“, fügte er rasch hinzu, „müssen Sie sich nicht verpflichtet fühlen, meine Einladung anzunehmen.“
Zu Anfang lehnte ich tatsächlich ab. Seit Pauls Tod waren erst ein paar Wochen vergangen, und mir stand nicht der Sinn danach, mich zu vergnügen. Doch Simon blieb hartnäckig und lud mich bald darauf zum Mittagessen ein. Ich erinnere mich noch genau, wie er sich über meinen Schreibtisch beugte und mich aus seinen wässrigblauen Augen hoffnungsvoll ansah. „Gern, vielen Dank“, willigte ich schließlich ein.
Nach meinem ersten Einlenken fasste er Mut und lud mich mehrmals in der Woche zum Abendessen oder ins Theater ein. Einmal begleitete ich ihn zu einer Party, die von einem Diplomaten und dessen Ehefrau gegeben wurde. Beide waren erst kürzlich von einem längeren Aufenthalt in Bombay zurückgekehrt, und in ihrem Haus in Notting Hill kostete ich zum ersten Mal exotische Cocktails und Currygerichte, die so scharf waren, dass meine Nase zu laufen begann.
„Ich bin sehr stolz auf dich, Marta“, erklärte Delia einmal. „Du hast wirklich tapfer nach vorn geschaut, seit du den Amerikaner verloren hast.“
„Mhm“, gab ich ausweichend zurück, denn in Wahrheit hatte ich gar nicht so besonders tapfer nach vorn geschaut. Zugegeben, Simons Gesellschaft war angenehm. Er sprach voller Leidenschaft von der Politik, und er konnte großartige Geschichten aus seiner Studienzeit und von seinen Reisen durch Osteuropa erzählen, die mich an meine Kindheit erinnerten. Wenn wir zusammen ausgingen, war das eine willkommene Abwechslung von den langen Abenden zu Hause, an denen ich nur immer von der Erinnerung an Paul heimgesucht wurde. Natürlich war ich Simon dankbar, dass er mir eine Arbeitsstelle gegeben hatte. Doch manchmal, wenn er mich in Restaurants und zu Partys ausführte, wurden meine Schuldgefühle wach. Machte ich ihm womöglich etwas vor? Simon wusste doch, dass ich gerade erst meinen Verlobten verloren hatte, und doch schien es ihn nicht davon abzuhalten, die Zeit mit mir zu verbringen. Zumindest hatte ich es für nicht mehr als das gehalten, bis er mir nur vier Wochen nach unserem ersten gemeinsamen Essen
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