Die Frau des Diplomaten (German Edition)
nach Hause zu Charles gehen möchte.
Nachdem sie sich auf den Heimweg gemacht hat, gehe ich in die Küche. Unsere Küche ist geräumig, mit Mobiliar, das vor sehr vielen Jahren wohl zum Teuersten gehörte, was man überhaupt bekommen konnte. Aber inzwischen ist alles alt und abgenutzt. Ich mache mir einen Teller Pastete fertig, dann begebe ich mich in den Salon. Nicht zum ersten Mal denke ich, dass das Haus früher einmal prächtig gewesen sein muss: ein großer Salon, ein Esszimmer, hohe Decken mit kunstvollen Stuckverzierungen. Aber den Möbeln sieht man ihr Alter an, und die Holzböden knarren gequält.
Als ich mich aufs Sofa setze, fällt mein Blick auf ein gerahmtes Foto auf dem Kaminsims. Es zeigt Rachel, wie sie im letzten Frühling am See spielt. Rachel, denke ich, und verspüre eine wohlige Wärme in meinem Herzen. Rachel Hadassa Gold. Bevor meine Tochter zur Welt kam, war ich lange unschlüssig. Eigentlich hatte ich sie Rose nennen wollen, aber die jüdische Tradition verlangt den Namen eines Menschen, der ein langes und gesundes Leben geführt hat, und das trifft auf Rose nicht zu. Also nannten wir sie Rachel und ehrten das Andenken meiner Mutter, indem sie Hadassa als zweiten Vornamen bekam.
Zumindest dem Namen nach ist Simon ebenfalls Jude. Zweimal im Jahr putzen wir uns heraus und besuchen die Synagoge, wo wir den Leuten freundlich zunicken, deren Gesichter wir nur bei diesen Gelegenheiten zu sehen bekommen. Die große Synagoge ist in jeder Hinsicht Welten entfernt von dem kleinen bescheidenen Verschlag, der uns in unserem Dorf als Gotteshaus diente. Mir fehlt dieses Ritual, einmal in der Woche die Synagoge aufzusuchen und von den Menschen umgeben zu sein, die mir etwas bedeuten. Für Simon dagegen ist der halbjährliche Besuch mehr als ausreichend. Einmal versuchte ich, etwas Wärme in unser Heim zu bringen, indem ich ein Schabbes-Essen kochte. Simon sah mir erstaunt zu, wie ich die Kerzen anzündete und ihm selbst gebackenes Challah-Brot gab. Er aß, was ich ihm servierte, dann zog er sich kommentarlos in sein Arbeitszimmer zurück.
Während ich einen Bissen von meinem Essen nehme, betrachte ich weiter Rachels Foto. Ich hatte gehofft, Rachels Geburt würde Simon dazu veranlassen, mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Aber bis auf ein paar Gesten ist nichts geschehen. Er hat ihr Foto auf dem Schreibtisch stehen, und er nimmt pflichtbewusst jeden Sonntag am Familienausflug teil, wenn wir in den Park oder in den Zoo gehen. Doch darüber hinaus verhält er sich ihr gegenüber genauso desinteressiert, wie er sich mir gegenüber verhält. Wenn er sie hält, dann streckt er dabei die Arme aus, als hätte sie eine ansteckende Krankheit, die auf ihn überspringen könnte.
Es schien ihm nicht einmal aufzufallen, dass Rachel viel zu kurz nach unserer Hochzeit zur Welt kam. „Eine Frühgeburt!“, rief Delia, als sie uns im Krankenhaus besuchte, und sie schien es tatsächlich ernst zu meinen. Ich musterte aufmerksam Simons Gesicht, als er Delia das Baby hinhielt, aber er machte in keiner Weise den Eindruck, als würde ihm an meiner kurzen Schwangerschaft irgendetwas seltsam vorkommen.
Nachdem ich aufgegessen habe, bringe ich den Teller in die Küche zurück. Beim Abwaschen sehe ich zur Uhr. Es ist kurz vor acht, also wird Simon frühestens in einer Stunde zu Hause sein. Ein allzu vertrautes Gefühl der Einsamkeit erwacht in mir. Tagsüber bin ich beschäftigt und abgelenkt, aber am Abend stürzt dieses Gefühl auf mich ein. Ich stelle den Wasserkessel auf den Herd. Was habe ich denn erwartet?, frage ich mich, als ich wenig später mit einer Tasse Tee in den Salon zurückkehre. Ich sollte dankbar sein, dass ich ein schönes Zuhause und einen Mann habe, der jeden Abend von der Arbeit heimkehrt. Dennoch habe ich mir von der Ehe mehr versprochen. Vertrauliche Blicke in der Öffentlichkeit, zärtliches Geflüster im Dunkel der Nacht. Wäre es mit Paul anders geworden? Ich verdränge diese Frage gleich wieder. Es ist nicht gerecht, den Alltag an Simons Seite mit einem Leben zu vergleichen, das allein in meiner Fantasie existiert. Und es ist sinnlos, über etwas nachzudenken, das nun einmal nicht möglich ist und meine Ehe nur noch trister wirken lässt. Aber es ist zu spät. Ein dumpfes Sehnen regt sich in mir, da ich mir vorstelle, wie ich mit Paul in einem offenen Wagen quer durch Amerika fahre, die Welt mit ihm entdecke und zusammen mit ihm lache. Nein, eine Ehe mit Paul hätte anders ausgesehen.
Als ich mich
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