Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Square unterwegs sind. Es ist fast dunkel, und die feuchte Luft trägt etwas Frostiges in sich, das mehr wie Winter denn wie Herbst schmeckt. Ein paar Minuten später steige ich in den Bus und denke immer noch über Simon nach. Er ist nicht unfreundlich zu mir, im Gegenteil. Nie höre ich ein böses Wort von ihm, und wenn ich ihn – was selten vorkommt – darum bitte, etwas im Haus zu tun oder Rachel und mich irgendwohin zu begleiten, dann ist er sofort dazu bereit. Aber in der übrigen Zeit lebt er in seiner eigenen Welt, verbringt viele Stunden im Büro und zieht sich selbst am Abend allein in sein Arbeitszimmer zurück.
Während sich der Bus durch die überfüllten Straßen kämpft, denke ich, dass ich mir manchmal einen kurzen Wutausbruch oder einen heftigen Wortwechsel wünsche, irgendetwas, das mir zeigt, dass er von mir Notiz nimmt. Nach außen erweckt er stets den Eindruck des fürsorglichen Ehemanns, der meine Hand hält und mir jeden Wunsch von den Augen abliest. Bei einer Feier unserer Abteilung hörte ich einmal, wie er mich als seine „holde Ehefrau“ bezeichnete und dabei den Kopf liebevoll schräg legte. Aber sobald wir unser Zuhause betreten und die Tür hinter uns zufällt, scheint sämtliches Interesse an mir erloschen. Es ist fast so, als finde er in erster Linie Gefallen an dem bloßen Gedanken, eine Ehefrau zu haben. So als sei ich etwas, das man sich anschaffen kann wie ein teures Auto oder ein wertvolles Gemälde.
Fünfzig Minuten später verlasse ich den Bus an der Hampstead High Street und schlage den Mantelkragen hoch, um mich gegen die Kälte zu schützen. Ich gehe an den mittlerweile geschlossenen Geschäften vorbei und biege in eine Wohnstraße mit Reihenhäusern ein. Das vorletzte davon ist unseres. Aus der Ferne betrachtet, sieht es aus wie alle anderen auch: große Fenster, ein gepflegter Rasen im Vorgarten. Erst wenn man näher kommt, fallen einem die Unterschiede auf: die Art, wie die linke Säule der Veranda seltsam abgesackt scheint; die Risse, die sich durch die Stufen ziehen. Simon hat das Haus von seinen Eltern geerbt und die letzten fünfzehn Jahre allein hier gelebt, und anscheinend sieht er den schleichenden Verfall des Gebäudes gar nicht. In den ersten Monaten unserer Ehe versuchte ich noch, das Erscheinungsbild unseres Hauses zu verbessern, indem ich mich um den Garten kümmerte und Blumen pflanzte, indem ich die Haustür von der abblätternden Farbe befreite und ihr einen neuen Anstrich verlieh. Doch je weiter meine Schwangerschaft voranschritt, desto weniger konnte ich mich diesen Arbeiten widmen. Und nach Rachels Geburt gab es Wichtigeres zu tun.
Vielleicht hätte ich mich weiter bemüht, hätte Simon von meinen Anstrengungen auch nur ein wenig Notiz genommen. Ich steige die Stufen hinauf, hebe einen Ball auf, der vor der Haustür liegt, und nehme ihn mit ins Haus. Ein köstliches Aroma schlägt mir entgegen. „Hallo?“
Delia kommt in die Diele und wischt sich die Hände an ihrer Schürze ab. „Hallo“, flüstert sie, küsst mich auf die Wange und gibt mir zu verstehen, dass Rachel oben in ihrem Zimmer schläft. „Ich habe sie eben ins Bett gebracht.“
„Hast du gekocht?“
Sie lacht leise. „Ich? Nein, Charles hat eine Pastete rübergeschickt, die ich für dich aufwärme.“
„Danke“, erwidere ich erfreut. Als ich wenige Monate nach Rachels Geburt beschloss, wieder arbeiten zu gehen, bot sich Delia an, auf die Kleine aufzupassen. Ich war zunächst besorgt, Rachel könne ihr zu viel abverlangen, doch Delia bestand darauf, und wir ließen es auf einen Versuch ankommen. Es funktioniert ganz ausgezeichnet. Für Delia gibt es nichts Schöneres, als ihre Zeit mit Rachel zu verbringen, und am Abend kann sie sich kaum losreißen. Und die Kleine ist ihrerseits in Delia vernarrt. Wenn ich die beiden beobachte, wie sie miteinander umgehen, dann überkommt mich eine tiefe Traurigkeit, dass Rachel niemals meine Eltern kennenlernen wird, die vor so langer Zeit und so weit weg von hier gestorben sind. „Du musst nicht alles aufwärmen“, sage ich noch und ziehe meinen Mantel aus. „Ich glaube, Simon wird heute länger arbeiten.“
Delia schürzt die Lippen und legt die Stirn in Falten. Auch wenn sie zu höflich ist, um etwas zu sagen, hat sie längst gemerkt, wie selten mein Ehemann zu Hause ist. „Soll ich dir beim Essen Gesellschaft leisten?“
Ich schüttele den Kopf. „Ist nicht nötig.“ Ich habe Delia gern um mich, aber ich weiß, dass sie lieber
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