Die Frau des Germanen
wurde.
Severina hörte, dass der Kaiser den Befehl gab, seine Sänfte holen zu lassen. Anscheinend hatte er nicht die Absicht, dem
siegreichen Wagenlenker persönlich den Lorbeerkranz aufs Haupt zu drücken.
Während die Sklaven die kaiserliche Sänfte holten, beugte sich Augustus an Germanicus’ Ohr. »Was hältst du davon, dass Arminius
in ganz Germanien Krieger einzieht?«
Germanicus erhob sich und drehte sich um, damit er dem Kaiser ins Gesicht sehen konnte. »Woher wisst Ihr das?«
»Die Kommandanten von zwei rheinischen Kastellen sollen es gemeldet haben.«
Severina sah Germanicus gespannt ins Gesicht, während er überlegte. Dann antworte er ausweichend: »Glaubt Ihr, dass Arminius
etwas im Schilde führt?«
Die Stimme des Kaisers klang gleichmütig. »Er gegen Rom?«
Germanicus entschloss sich zu lachen. »Das ist kaum denkbar.«
»Aber ich will keinen Ärger. Deswegen möchte ich wissen, was das zu bedeuten hat.«
»Varus kann es am besten beurteilen.«
Der Kaiser schien mit Germanicus’ Hinweis zufrieden zu sein, denn Severina konnte beobachten, wie sich die Miene ihres Bruders
entspannte.
»Ich habe Flavus zu ihm geschickt. Er dürfte bald wieder in |238| Rom ankommen, dann werden wir hören, wie Varus die Sache beurteilt.«
In Severina kroch ein Gefühl hoch, das ihr gänzlich neu war. Der Hass war ihr längst vertraut und der Wunsch nach Rache auch.
Das, worunter sie jetzt litt, war jedoch etwas anderes: eine Mischung aus Angst, Unsicherheit, Verantwortung und Liebe. Noch
nie hatte sie Angst vor dem Schicksal gehabt, das sie begünstigte, Unsicherheit hatte es nie gegeben, da ihre Lebensumstände
für ausreichend Sicherheit sorgten. Das Bewusstsein, für Silvanus verantwortlich zu sein, tat ihr in diesem Moment weh und
die Erkenntnis, dass sie ihn liebte wie sonst nichts auf der Welt, ebenfalls. Sie griff nach seiner Hand und hielt sie gegen
seinen Widerstand fest. Die kleine weiche Kinderhand, die in ihrer geballten Faust zuckte, zeigte ihr, dass es sich lohnte
zu warten. Ihre Rache würde kommen, so wie die Zeit kommen würde, wenn sie reif dafür war. Wohl überlegt musste sie sein,
diese Rache. Das neue Gefühl, das sich nicht abschütteln ließ, würde sie vorantreiben und gleichzeitig im Zaum halten. Die
Rache war wie ein Wagenrennen. Man musste im richtigen Moment die Zügel straffen und, wenn es Zeit war, alles riskieren.
»Wir gehen!«, sagte sie zu Gaviana, die wiederum gehorsam nickte, ohne sie anzusehen. »Wie wär’s mit ein bisschen Freundlichkeit?«,
herrschte sie ihre Sklavin an. »Hast du vergessen, dass du mir dankbar sein musst? Ohne mich würdest du noch immer auf den
Namen Myrtis hören.«
Sie erhob sich, verneigte sich vor dem Kaiser, schob ihren Bruder zur Seite und übersah Agrippina, die Anstalten machte, sich
von ihr zu verabschieden. Mit einer knappen Geste wies sie Gaviana an, Sosia das Kind auf den Arm zu geben und dafür zu sorgen,
dass ihr ein Weg aus dem Stadion gebahnt wurde.
Es war ein schöner Morgen, der einen sonnigen Tag verhieß. Obwohl sie nicht viel geschlafen hatte, erhob sich Thusnelda, als
sie den Hahn krähen hörte. Thordis würde nicht gelten lassen, dass ihre Schwiegertochter erst spät mit der Hausarbeit begann, |239| weil sie die halbe Nacht aufgesessen und gewartet hatte. So war es auch vor ein paar Wochen gewesen. Thusnelda hatte mit Hermut
bis zum Morgengrauen Arminius’ Rückkehr vom Thing entgegengesehen, trotzdem waren harsche Worte gefallen, als sie sich am
Morgen danach als Letzte erhoben hatte. Da half es auch nichts, Thordis die Angst zu schildern, die sie ausgestanden hatte.
Für Arminius’ Mutter ging Pflichterfüllung über alles.
Hermuts Sorge, dass Arminius in eine Falle geraten sein könnte, war auf der Stelle auch zu Thusneldas geworden, und die Warnung,
die Flavus seinem Bruder mit auf den Weg geben wollte, hatte sich plötzlich schwer auf ihre Brust gelegt. Wäre sie nur freiwillig
ins Haus gegangen! Dann hätten die beiden Brüder ein Wort von Mann zu Mann sprechen können, und Arminius hätte gewusst, wovor
Flavus ihn warnen wollte.
Aber dann, im Augenblick der größten Sorge, der drängendsten Angst, der heftigsten Vorwürfe hatte sich plötzlich die Gestalt
eines einsamen Reiters aus dem Wald gelöst und war gemächlich auf die Teutoburg zugeritten. Arminius! Über Thusneldas und
Hermuts Angst hatte er nur gelacht und ihre Fragen, was auf dem Thing
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