Die Frau des Germanen
Gespann die erste Stabilität ein. Es sah so aus, als hätte Naso aufs falsche Pferd gesetzt,
auf das innen laufende, das möglichst stark und temperamentvoll sein sollte. Aber er hatte dessen Kraft einen zu schwachen
Gegenpol gesetzt. Kurz vor der Wende war dem außen laufenden Pferd bereits seine Angst anzusehen. Es zerrte an den Zügeln,
wollte das Tempo verringern, sich der Fliehkraft entziehen, Schaum stand vor seinem Maul, die Augen waren weit aufgerissen,
Irrsinn stand darin. Es machte, als das innen laufende Pferd erneut zur Wende ansetzte, den wahnwitzigen Versuch auszubrechen,
warf sich statt der Wendemarke der tobenden Menge entgegen und entriss so das innen laufende Pferd der Kurve. Das stieg auf
die Hinterläufe, widersetzte sich verzweifelt der neuen Richtung, während die beiden Pferde, die in der Mitte liefen, weder
der einen noch der anderen Richtung folgen wollten. Es war, als würde Nasos Rennwagen auseinandergerissen.
Während ein Schrei durch die Menge ging, hörte Severina den Kaiser hinter sich ganz ruhig sagen: »Er wollte auf Nummer sicher
gehen, das war sein Fehler.«
In diesem Augenblick preschte der nächste Rennwagen heran. Der junge Wagenlenker hielt eisern auf die Wendemarke zu, ließ
sich nicht von dem auseinanderbrechenden Vierergespann Nasos verunsichern, blieb auf seiner Bahn, spornte seine Tiere sogar
noch an. Nasos Rennwagen kippte um, als das nachfolgende Gespann aufschloss und dessen außen laufendes Pferd an eins der beiden
Räder stieß. Das innen laufende wurde mitgerissen, es stieß ein grelles Wiehern aus, als es auf die Seite fiel und dem verunglückten
Rennwagen nachrutschte. Naso wurde gerade in dem Moment auf die Bahn geschleudert, als der nachfolgende |236| Wagen sich in die Innenbahn drängte und Nasos schreiendem Pferd die Hufe abfuhr – dem besten und teuersten Pferd, das Naso
je besessen hatte, das er eigens für dieses Rennen, für das wichtigste Rennen seines Lebens, aus Griechenland eingeführt hatte.
Der berühmteste Wagenlenker Roms wurde durch den Staub geschleift. Severina konnte beobachten, wie er verzweifelt versuchte,
seinen Kopf vor den Hufen seiner panischen Pferde zu schützen, dann sah sie, wie er in sein Lederkorsett griff. Natürlich!
Er musste auf der Stelle die Zügel durchschneiden. Gewinnen konnte er dieses Rennen nicht mehr, es ging jetzt nur noch darum,
sein Leben zu retten.
Naso lag auf der Seite, zwei seiner wahnsinnig gewordenen Pferde versuchten weiterzulaufen, die beiden anderen lagen am Boden
und schlugen um sich. Schaumfetzen lösten sich von ihren Mäulern. Dann sah Severina, wie Nasos Hand wieder zum Vorschein kam.
Aber sie war leer. Anscheinend hatte er das Messer, das er jetzt so dringend brauchte, beim Sturz verloren.
Die Menge brüllte, nicht aus Mitleid oder Entsetzen, sondern aus purer Wut. Schließlich hatten die meisten von ihnen auf Naso
gesetzt, sie verloren in diesen wenigen Augenblicken viel Geld, einige sogar ein ganzes Vermögen.
Kaum einer beachtete das Gespann, das nach dem Start auf dem zweiten Platz gelegen hatte und nun vor den anderen in die letzte
Runde startete. Zwei Wendepunkte lagen noch vor ihm, ein anderes Gespann holte auf der Geraden auf, der Lenker hatte sich
jedoch zu viel zugemutet und verlor den gewonnenen Vorsprung in der Wende wieder, wo eins seiner Pferde ausscherte, dessen
Kraft er überschätzt hatte. Nasos verunglücktes Gespann prallte in diesem Moment gegen die Balustrade, seine toll gewordenen
Pferde schlugen mit den Läufen, als wäre dieses Rennen noch fortzusetzen. Als das Gespann, auf das kein einziger gesetzt hatte,
durchs Ziel ging, war Nasos Kopf blutbesudelt, seine Seite war aufgerissen, ein Fuß hatte sich aus dem Gelenk gelöst, er rührte
sich nicht mehr.
|237| Die Wut des Publikums brauchte eine Weile, um zu verrauchen, dann wandte man sich dem Sieger zu. Ein hoffnungsvolles Talent,
das an Nasos Stelle treten und dem einfachen Volk suggerieren würde, dass jeder es schaffen konnte, reich und berühmt zu werden,
egal, in welchem Stand er geboren war. Wer nur so viel Geld verloren hatte, wie er verschmerzen konnte, jubelte nun Nasos
Nachfolger zu.
Severina warf Gaviana einen ungehaltenen Blick zu. »Sorg dafür, dass Silvanus zu weinen aufhört.«
Gaviana nickte gehorsam, zog das Kind in ihre Arme, tröstete es und achtete darauf, dass der Kleine nicht mitbekam, wie Nasos
lebloser Körper von der Rennbahn gezogen
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