Die Frau des Germanen
zurück, spürte förmlich den Schrei, der aus ihr herauswollte, und wusste doch, dass
sie unfähig sein würde zu schreien.
Was der Legionär seinem Kaiser hinstreckte, war … der Kopf von Publius Quinctilius Varus.
Severina konnte an nichts anderes denken, als sie Claudia Pulchra mit zuckersüßem Lächeln begrüßte. Mit größtem Widerwillen
ergriff sie ihre Hand. Severina gelang es nicht, den Gedanken abzuschütteln, dass diese Hand einmal nach den Haaren des abgetrennten
Kopfes gegriffen hatte. Germanicus hatte es Agrippina erzählt, und die hatte Severina zugetuschelt, wie Claudia reagiert hatte,
als man ihr die Nachricht vom Tode ihres Mannes überbrachte. Nach einem Beweis hatte sie verlangt und nicht eher Ruhe gegeben,
bis man den Korb vor sie hingestellt und sie einen Blick in Varus’ tote Augen geworfen hatte. Dann, so hieß es, habe sie nach
seinen Haaren gegriffen, den Kopf angehoben und dicht vor ihre Augen geführt. Ob sie mit dieser schrecklichen Geste ihrem
Mann einmal auf Augenhöhe begegnen, ob sie ihn ein letztes Mal höhnisch angrinsen oder gar küssen wollte, wusste nur Claudia
allein. Der Augenblick, in dem sich das Haarbüschel, an dem sie den Kopf ihres Mannes hielt, aus der Kopfhaut löste, musste
entsetzlich gewesen sein. |276| Er polterte zu Boden, rollte über die Fliesen, einem Hund direkt vor die Vorderpfoten, der von sieben Sklaven davon abgehalten
werden musste, sich darüber herzumachen. Severina schüttelte sich bei dem Gedanken an diese Szene und war unfähig, sie zu
vergessen, während sie mit Claudia Pulchra sprach.
Die hatte sich in ihrer Witwenschaft mittlerweile bequem eingerichtet. Der schwere Fehler ihres Gemahls wurde ihr nicht angelastet,
sie war und blieb ein Mitglied der kaiserlichen Familie, Varus’ Schuld war nicht ihre. Und Augustus’ Wut auf Varus’ Vertrauensseligkeit
war mittlerweile einer tiefen Resignation gewichen, sein Wunsch nach Vergeltung richtete sich ausschließlich auf Arminius.
Drei Legionen hatte er durch ihn verloren! Das waren etwa zwanzigtausend Soldaten, ein Sechstel der gesamten Heeresmacht Roms!
Dazu auch der größte Teil der Reiterei, von der sich nur wenige in das Kastell Aliso an der Lippe hatten retten können! Sämtliche
Hilfstruppen und der ganze Tross der unzähligen Begleiter waren ebenfalls vernichtet worden! Einfach zu viel für simple Gefühle
wie Wut und Verzweiflung! Diese Dimension verlangte nach überdimensionalen, nach kaiserlichen Gefühlen … aber zu ihnen war
Augustus nicht fähig. Er rettete sich in eine Reaktion, die dem Gewaltigen, dem Unfassbaren nicht gerecht wurde: Er ergab
sich in sein Alter. Dort fand er Ruhe vor der größten Niederlage Roms, vielleicht fand er dort in den folgenden Jahren auch
eine Erklärung dafür, warum er die besiegten Legionen nicht wieder aufstellte. Sein Alter war von da an Erklärung für alles,
was die Jüngeren ihm heimlich vorwarfen. Der Kaiser war todmüde geworden, der Verlust der Legionen hatte ihn dermaßen geschwächt,
dass er am Ende sogar Varus verzeihen musste, damit es im weichen Bett seines Alters keine Stelle gab, die ihn drückte. Hätte
die erste schreckliche Wut ihn gestärkt, dann wäre er vermutlich bald nach der verhängnisvollen Schlacht gestorben. Er hätte
seine letzten Kräfte aufgebraucht für seinen Zorn und den Wunsch nach Rache. So aber war er am Leben geblieben. Ein junger
Kaiser hätte es wohl |277| nicht geschafft, sich mit dieser entsetzlichen Niederlage abzufinden, sein Alter aber hatte auf diese Weise Augustus gerettet.
Severina war die Einzige, die ihn auf dem kurzen Weg ins Greisentum begleitet hatte, nur sie war Zeugin seiner Ankunft dort
geworden. Zunächst hatte er Varus’ Kopf angestarrt, als könnte er damit einen Funken in den toten Augen des Statthalters anzünden,
dann ließ er sich von dem geschwächten Legionär Einzelheiten erzählen. Severina konnte zusehen, wie der Kaiser für wenige
Augenblicke wieder jung wurde, wie sich der Hass in seinen Augen entzündete, als Piso berichtete, dass Varus gewarnt worden
war, aber trotzdem vertrauensvoll den Schutz Arminius’ angenommen hatte. Der junge Legionär stärkte sich allmählich an seinem
Report, immer flüssiger schilderte er den heimtückischen Überfall, der die Römer völlig unerwartet und unvorbereitet getroffen
hatte, erzählte von dem Gemetzel, das anschließend stattfand, von der Grausamkeit der Germanen, der ein
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