Die Frau des Germanen
großzügig vom Kaiser,
dass der Bruder des feigen Verräters in römischen Diensten bleiben darf.«
Agrippina antwortete, ehe Severina etwas entgegnen konnte: »Dass er der Bruder des Mannes ist, dem Rom seine größte Schmach
zu verdanken hat, ist nicht seine Schuld.«
»Stimmt!« Claudia nickte. »Er hat sich ausdrücklich von der |280| ruchlosen Tat seines Bruders distanziert. Ich habe ihn sagen hören, er würde sogar gegen seinen Bruder kämpfen, wenn er die
Gelegenheit bekäme, die Niederlage Roms zu rächen.« Sie ließ sich von einer Sklavin ein Silbertablett reichen, auf dem exotische
Früchte angerichtet waren. Genüsslich schob sie sich ein Stück Mango in den Mund, dann lächelte sie Severina an, als wollte
sie ihr ein Kompliment machen. »Warum heiratet Ihr ihn nicht? Jeder weiß, dass er Euch schon mehrere Anträge gemacht hat.
Und Flavus ist längst kein Germane mehr, er ist ein geachteter römischer Offizier. Und wenn man glauben darf, dass er der
Vater Eures Sohnes ist …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende und betrachtete Severina mit scharfem Blick.
Sie antwortete, ehe Claudia zu Ende sprechen und ehe Agrippina mit versöhnlichen Worten von der Frage ablenken konnte. »Soll
ich die Schwägerin des Mannes werden, der Euren Gemahl so schändlich betrogen hat? Der für seinen Tod verantwortlich ist?«
Mit einer eindrucksvollen Geste strich sie ihre himmelblaue Tunika glatt und betrachtete ihre bemalten Fingernägel, als wären
die in diesem Augenblick wichtiger als Claudia Pulchra. »Das würde ich Euch niemals antun, hochgeschätzte Claudia. Und dem
Kaiser auch nicht.«
»Aber wenn er der Vater Eures Sohnes ist!« Claudia Pulchra wollte noch nicht aufgeben und rollte mit den Augen, als ginge
ihr Severinas Schicksal tatsächlich zu Herzen.
»Es müssen Opfer gebracht werden.« Severina lächelte. Sie merkte, dass Agrippina sie bewundernd ansah, und das tat ihr gut.
»Opfer für Rom!«
17.
T hordis’ Atem ging schwer. Schweiß stand auf ihrer Stirn, ihre Augen irrten auf der Suche nach einem Punkt umher, an dem ihr
Blick sich festhalten konnte. Manchmal fand sie diesen Punkt in Thusneldas Gesicht, dann wieder im Gesicht ihrer |281| Tochter. Jedes Mal tasteten dann ihre Finger über die Felldecke, die Thusnelda über ihren Körper gebreitet hatte, als könnten
sie helfen auf dem Weg zu den richtigen Worten. Thordis, die zeitlebens eine wortkarge Frau gewesen war, schien nun, am Ende
ihres Lebens, noch so vieles sagen zu wollen. Die Angst, ihr Haus und ihre Familie zurückzulassen, die Sorge, was in der Teutoburg
ohne ihren Einfluss geschehen könnte, machten ihr das Sterben schwer. Thordis schien weder Thusnelda noch Wiete leichten Herzens
die Herrschaft über den großen Haushalt übertragen zu können. Keiner der beiden traute sie zu, genauso sorgfältig wie sie
selbst Haus und Hof zu verwalten.
»Wo bleibt nur Arminius?«, flüsterte Wiete.
»Man weiß nie, wie lange ein Thing dauert«, flüsterte Thusnelda zurück.
»Mutter möchte Abschied von ihm nehmen.« Wiete starrte Thordis’ Lippen an, die mühevoll den Namen ihres ältesten Sohnes formten.
Thusnelda beugte sich vor und strich sanft über Thordis’ Hände. »Arminius wird bald da sein«, versuchte sie zu trösten.
Plötzlich wurde Thordis’ Stimme kräftiger. »Und Flavus?« Der Name ihres Zweitgeborenen war mühelos zu verstehen.
Wiete sah ihre Schwägerin ängstlich an, daher antwortete Thusnelda an ihrer Stelle: »Wir wissen nicht, ob Flavus nach Germanien
kommen kann. Niemand weiß genau, in welchem Teil des römischen Reiches er sich zurzeit aufhält. Arminius hat einen Kurier
geschickt, aber ob der ihn erreicht …« Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Vielleicht weiß er bis jetzt nicht,
dass Ihr krank seid, Mutter.«
Thordis’ Blick war nun ganz klar. »Ich werde warten. Segimer hat auch gewartet, bis seine Söhne bei ihm waren.«
Thusnelda nickte zaghaft. »Es kann aber sein, dass Flavus nie wieder nach Germanien zurückkehren wird. Ihr dürft nicht vergessen:
Arminius und Flavus sind Feinde geworden. Arminius hat Rom besiegt, und Flavus ist ein Römer geblieben. Die Germanen werden
von den Römern gehasst. Möglich, dass auch |282| Flavus uns jetzt hasst. Oder … er wagt es nicht, uns nicht zu hassen.«
Thordis nickte, dann schloss sie erneut die Augen. »Bitte, schweigt nicht«, flüsterte sie. »Redet, damit ich weiß, dass ich
noch
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