Die Frau des Germanen
römischer Soldat nach
dem anderen zum Opfer fiel. An dieser Stelle loderte der Hass sogar hell in Augustus’ Augen, und als er fragte, warum der
junge Legionär am Leben geblieben sei, begriff Piso nicht, dass sich der Hass des Kaisers mittlerweile gegen ihn richtete.
»Alle sind umgekommen«, erklärte Piso. »Ich wurde verschont, damit ich euch Varus’ Kopf bringe.«
Er schrie gellend auf, als er nach einer knappen Handbewegung des Kaisers von den Wächtern ergriffen und abgeführt wurde.
Kaiser Augustus hatte beschlossen, dass Piso das Leben nicht verdiente, nachdem alle anderen so grausam abgeschlachtet worden
waren.
Danach ließ der Kaiser sich von seinen Sklaven in sein Arbeitszimmer tragen, der Korb mit Varus’ Kopf blieb zurück.
Schritt für Schritt tastete Severina sich durch die offene Tür in den Raum zurück, in dem niemand mehr an sie dachte und niemand
sie beachtete. Nicht einmal Antonius Andecamus. Einige der Senatoren standen ratlos um den Korb herum, andere überlegten,
was zu tun sei, wieder andere beklagten den Tod ihrer |278| Söhne und Brüder, die meisten jedoch stellten immer wieder dieselbe Frage: »Wie konnte das geschehen?«
Severina drängte sich an ihnen vorbei und ging auf die Tür des kaiserlichen Arbeitszimmers zu. Sie trat ein, ohne zu klopfen
– und blieb fassungslos auf der Schwelle stehen. Langsam ging sie in den Raum hinein und schloss die Tür so leise hinter sich,
als hätte sie Angst, die Verzweiflung des Kaisers zu stören.
Augustus stand vor der holzvertäfelten Wand seines Arbeitszimmers und stieß seinen Kopf dagegen. Einmal, zweimal, immer wieder.
Das dumpfe Dröhnen machte Severina Angst, sie hörte, wie seine Zähne aufeinander schlugen und sah die Blutspuren an der Wand.
Verzweifelt gab sie den Sklaven ein Zeichen, aber keiner von ihnen traute sich, die Raserei des Kaisers zu stören.
Endlich war seine Kraft erschöpft, er warf sich ein letztes Mal gegen die Wand, dann lehnte er seine blutende Stirn dagegen,
ließ auch die Schultern nach vorn fallen und stützte sich mit den flachen Händen an der Wand ab.
»Varus, Varus! Gib mir meine Legionen wieder!«
In einer einzigen Stunde war aus dem alten Kaiser ein Greis geworden.
Claudia Pulchra beobachtete Severina schon eine ganze Weile. »Ihr seid mit Euren Gedanken woanders, meine Liebe! Habt Ihr
Probleme?«
Severina schrak zusammen. »Ich? Probleme? Wie kommt Ihr darauf?«
Bevor Claudia etwas erwidern konnte, griff Agrippina ein, der nie entging, wenn ein Gespräch feindselig zu werden drohte.
Geschickt lenkte sie Claudias Aufmerksamkeit von Severina weg. Sie wusste, wie gerne sich Varus’ Witwe mit ihrer eigenen Person
beschäftigte, und lobte langatmig ihre Tapferkeit, mit der sie den schrecklichen Tod ihres Gemahls ertrug. »Ich bewundere
Eure Haltung! Und dass nie ein Wort des Hasses über Eure Lippen gekommen ist!«
|279| »Obwohl ich allen Grund hätte!« Claudia rang theatralisch die Hände. »Es ist schrecklich, wenn das Vertrauen eines Menschen
derart ausgenutzt wird. Mein armer Varus hat diesen Cheruskerfürsten seinen Freund genannt. Wie konnte er ahnen, dass er eine
Natter an seinem Busen nährte?«
Ihr Blick veränderte sich, plötzlich wurde er kalt und lauernd. Severina wusste, dass sie auf der Hut sein musste.
»Ihr tut mir sehr leid, meine Liebe!«
Severina legte den Kopf in den Nacken. »Warum? Ich sehe keinen Grund.« Es gelang ihr sogar ein kleines Lächeln. »Mir geht
es gut.«
Claudias Busen wogte, ihr Doppelkinn zitterte. »Ihr müsst Euch nicht um Tapferkeit bemühen, meine Liebe! In diesen Zeiten
ein blondes Kind mit blauen Augen zu haben ist ein hartes Schicksal. Habt Ihr eine zuverlässige Sklavin, die den Knaben nicht
aus den Augen lässt? Besser, Ihr haltet ihn im Hause versteckt.«
Wieder griff Agrippina ein. »Ich verstehe Euch nicht, Claudia. Was hat Silvanus’ Aussehen für eine Bedeutung? Unter den Vorfahren
meines Gemahls hat es mehrere blonde Menschen gegeben. Germanicus hat es mir erzählt.«
Claudia schnitt Agrippinas Beteuerungen mit einer barschen Handbewegung ab. »Habt Ihr vergessen, dass ich auch ein Teil dieser
Familie bin? Von einem blonden Vorfahren habe ich nie etwas gehört.«
»Ihr vergesst, dass mein Gemahl adoptiert wurde«, entgegnete Agrippina hastig. »Seine Vorfahren sind nicht Eure.«
Aber Claudia schien ihr nicht zuzuhören. Sie ließ Severina nicht aus den Augen, als sie sagte: »Wirklich
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