Die Frau des Germanen
hatte.
Mit einem Mal war Thordis’ Stimme zu hören. Hell und klar! »Das böse Omen!«
Thusnelda saß stocksteif da. Die wohlige Wärme, die am Anfang des Gespräches durch ihre Glieder gerieselt war, wich im Nu
eisiger Kälte.
»Das böse Omen«, wiederholte Thordis mühsam.
Thusnelda riss sich zusammen und antwortete mit ruhiger Stimme: »Das böse Omen hat sich bereits erfüllt. Die Götter haben
uns keine Kinder geschenkt. Wenn wir das böse Omen noch zu fürchten hätten, wäre die Schlacht gegen Varus anders ausgegangen.«
Severina griff fest nach Silvanus’ Hand, als sie das Atrium durchschritt. Viele Blicke folgten ihr und ihrem Sohn. Die der
Senatoren, die auf eine Nachricht aus Augustus’ Schlafzimmer warteten, die der kaiserlichen Verwandten, die sich seit Tagen
in |287| Augustus’ Haus herumdrückten, die Blicke der reichen Römer, die hier häufig zu Gast waren und sich das Recht nahmen, sich
in der Nähe des Kaisers aufzuhalten. Severina gab keinen der Blicke zurück. Sie hatte nur die Tür im Auge, die ins Schlafzimmer
ihres Großvaters führte. Und sie zögerte nicht, wenn ihr jemand in den Weg treten wollte. Wer in diesem Falle auszuweichen
hatte, war von vornherein klar.
Sie trug eine seidene Tunika in einem blassen Goldton, der ihren Teint aufhellte, ihre Augen aber umso dunkler und ausdrucksvoller
erscheinen ließ. Unter der Brust wurde die Tunika mit einer Kordel zusammengehalten, in die ihre Sklavinnen Perlen in verschiedenen
Farben geflochten hatten. Bei jeder Bewegung blitzten sie auf und gaben so Severinas Gang und ihrer Haltung etwas Vibrierendes,
Funkelndes. Die Haare hatte sie sich hochstecken und mit weißen Bändern am Hinterkopf befestigen lassen. Die Butter, mit der
Gaviana ihre Gesichtshaut am Morgen bestrichen hatte, ließ ihren Teint noch jetzt, am Nachmittag, sanft schimmern. Das Gemisch
aus Asche und Antimonpuder, mit dem die Hauptsklavin ihre Augenpartie und die Wimpern gefärbt hatte, bewies wieder einmal,
dass Gaviana für Severina unersetzlich war. Noch Stunden später war nichts von dem Puder auf die Wangen gerieselt. Natürlich
sollte Gaviana nichts davon erfahren, aber mittlerweile ärgerte sich Severina tatsächlich darüber, dass sie auf die Dienste
ihrer Hauptsklavin so lange verzichtet hatte.
Die vielen neugierigen Blicke schienen Severina zu umschmeicheln und zu stärken, Silvanus jedoch wurde von ihnen durchbohrt.
Er starrte auf seine Füße und hatte Mühe, mit seiner Mutter Schritt zu halten. Verzweifelt versuchte er, seine Hand aus ihrer
zu lösen, doch Severina gab sie erst frei, als sie vor der Schlafzimmertür des Kaisers angekommen waren. Nun erst schien sie
darauf zu vertrauen, dass Silvanus nicht im letzten Augenblick die Flucht ergriff. Mittlerweile war er fünf Jahre alt, zwar
noch nicht so aufsässig wie Caligula, aber mit seinem Bedürfnis, alles haarklein erklärt zu bekommen, nicht minder |288| schwierig. Und seit er seiner Mutter nicht mehr widerstandslos folgen wollte, war Severinas Wunsch umso drängender geworden,
schon jetzt für seine Zukunft zu sorgen. Er würde immer blond und blauäugig bleiben, aber vermutlich niemals so egoistisch,
zielstrebig und machthungrig werden, wie Severina sich ihren Sohn wünschte und wie ein zukünftiger Kaiser zu sein hatte.
Die Sklaven, die die Tür zum kaiserlichen Schlafzimmer bewachten, wichen ehrfürchtig zurück, die Tür öffnete sich wie von
selbst. Hochaufgerichtet betrat Severina den Raum und griff erneut nach Silvanus’ Hand, damit er nicht hinter ihr zurückblieb.
Das Bett des Kaisers stand auf einem Podest in der Mitte des Raumes, der wie alle römischen Schlafzimmer nur spärlich möbliert
war. Die Wände allerdings waren mit üppigen Gemälden und verschiedenfarbigen Täfelungen bedeckt, der Fußboden bestand aus
einem Mosaik, das ein prächtiges Bildnis ergab: ein Papageienschwarm über einer üppigen Tafel, die mit Köstlichkeiten gefüllt
war, die den Papageien gehören sollten. Seit der Kaiser aber sein Bett aus einer Wandnische in die Mitte des Raumes hatte
stellen lassen, war die Wirkung des Gemäldes zerstört worden, denn die Pfosten des Kopfendes waren auf den Flügeln zweier
Papageien zu stehen gekommen und die des Fußendes mitten in der mit exotischen Früchten gefüllten Silberschale.
Der Kaiser lag auf zwei dicken Matratzen, entweder, damit er es besonders weich hatte, oder damit er auch im Liegen auf alle,
die
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